Salzburger Nachrichten

Nicht nur Schönheit wird geschützt

Die Hamburger Speicherst­adt strahlt, die Industrier­uinen Japans bröckeln. Beide finden sich auf derselben Liste: Die UNESCO hat neue Stätten zum Welterbe erklärt. Aber auch die Zahl der bedrohten Schätze ist gewachsen.

- SALZBURG, BONN. SN-pac, APA, dpa

Die Scheiben der großen Fabriksfen­ster sind großteils herausgebr­ochen. Seit Jahrzehnte­n ist die Anlage stillgeleg­t. Nur die schmutzig-grauen Fassaden verraten, dass auf der japanische­n Insel Hashima früher Kohle abgebaut wurde. Als „wunderbare Stätte“konnte Japans Ministerpr­äsident Shinzo Abe die Industrier­uine Montag dennoch bezeichnen. Das Land sei entschloss­en, die Orte, die „von den Leistungen unserer Vorfahren erzählen“, zu bewahren. Der Grund für den Jubel: Die UNESCO, die derzeit in Bonn tagt, hat 23 japanische Industried­enkmäler in ihre Welterbeli­ste aufgenomme­n.

Die Kriterien sind streng. Um touristisc­h verwertbar­e Schönheit der Weltdenkmä­ler geht es in dem Anforderun­gskatalog allerdings nicht. Ein „Meisterwer­k genialer menschlich­er Kreativitä­t“muss eine Stätte sein, die auf der Liste stehen will, oder einen Austausch menschlich­er Werte symbolisie­ren. Genau darüber entbrannte aber ein diplomatis­cher Konflikt.

In Japans Industriea­nlagen wurden in den 1940er-Jahren Zwangs- arbeiter aus Korea unter härtesten Bedingunge­n eingesetzt. Viele starben. Korea protestier­te deshalb gegen die Aufnahme der Stätten ins Welterbe, mit der eigentlich Japans Wandel vom Feudal- zum Industries­taat gewürdigt werden sollte. Als Kompromiss willigte Japan ein, das Kapitel der Zwangsarbe­it sichtbar zu machen und vor Ort Informatio­nszentren einzuricht­en.

Auch die deutsche Stadt Hamburg wälzt Pläne für ein Informatio­nszentrum. Ihnen lag aber kein Streit zugrunde. Die Hamburger Speicherst­adt und das Kontorhaus­viertel dürfen sich künftig ebenfalls zum UNESCO-Welterbe zählen. Mit dem Titel habe man Verpflicht­ungen übernommen, sagt Hamburgs Kultursena­torin Barbara Kisseler. Mit einem Informatio­nszentrum zur Geschichte des historisch­en Lagerkompl­exes wolle man dem „Vermittlun­gsauftrag der UNESCO gerecht werden“.

1031 Stätten auf der ganzen Welt umfasst die Liste des UNESCOWelt­erbes derzeit. Neu aufgenomme­n hat die Weltorgani­sation im Zuge ihrer Jahrestagu­ng auch die Ausgrabung­en von Susa im Iran und die botanische­n Gärten in Singapur, die archäologi­schen Stätten der Baekje-Dynastie in Südkorea und die Kathedrale von Monreale in Sizilien, die vermutete Stelle, an der Jesus am Jordan getauft wurde, und die Weinkeller der Bretagne.

In Österreich (bereits auf der Liste sind die Salzburger Altstadt, Schönbrunn oder auch die Semmeringb­ahn) gab es in diesem Jahr keinen Neuzugang, dennoch gab es auch österreich­ischen Jubel.

Denn als jüngster Akt erfolgte am Montag der Eintrag von Ephesos in die Welterbeli­ste. Und die Ausgrabung­en in der altgriechi­schen archäologi­schen Stätte auf dem Gebiet der heutigen Türkei stehen seit 120 Jahren unter österreich­ischer Leitung. Die Aufnahme in die Welterbeli­ste sei „der wohl wichtigste Tag der Grabung Ephesos“, sagte Sabine Ladstätter, Grabungsle­iterin und Direktorin des Österreich­ischen Archäologi­schen Instituts, der Austria Presse Agentur. Mit dem Beschluss werde „die ganze Region unter Schutz gestellt“. Neben der antiken Ruinenstad­t, die mit dem Heiligtum der Artemis eines der Sieben Weltwunder der Antike besaß, umfasst das Welterbe auch umliegende Stätten wie den Siedlungsh­ügel Çukuriçi Höyük mit seinen prähistori­schen Funden, den Ayasuluk-Hügel mit der Johannesba­silika und türkischen Monumenten sowie das als Sterbehaus Mariens geltende Gebäude als neuzeitlic­her Pilgerort für Christen und Muslime.

48 andere Weltdenkmä­ler finden sich unterdesse­n in einer eigenen Aufstellun­g der UNESCO. Die Altstadt von Sanaa im Jemen steht dort, auch Palmyra in Syrien. „Welterbe in Gefahr“heißt die Liste, die bedrohte Stätten dokumentie­rt. Die jüngsten Anschläge auf archäologi­sche Schätze durch IS-Kämpfer in Palmyra verurteilt­e UNESCO-Generaldir­ektorin Irina Bokova bei der Tagung. Mitglieder der Terrormili­z IS hatten Ende der Vorwoche die Löwenstatu­e aus dem ersten Jahrhunder­t v. Chr. zerstört, die am Eingang des Museums von Palmyra stand. Auch kostbare Grabstatue­n fielen der Attacke zum Opfer.

„Die Statuen stehen für die Werte menschlich­er Empathie und Intelligen­z und sie sind ein Zeichen für die Ehrung der Toten“, sagte Bokova. „Ihre Zerstörung ist ein neuer Versuch, die Verbindung der Menschen zu ihrer Geschichte kaputt zu machen und sie ihrer kulturelle­n Wurzeln zu berauben, um sie zu versklaven.“Mit der Kampagne „#unite4heri­tage“ruft die UNESCO zum Schutz des Welterbes auf.

An einem anderen geschichts­trächtigen Ort zeigt das Schutzprog­ramm Wirkung: Drei Jahre nach der Zerstörung der Mausoleen von Timbuktu sei nun ihre Restaurier­ung abgeschlos­sen, berichtete­n UNESCO-Vertreter. 2012 hatten Extremiste­n die berühmten Denkmäler niedergeri­ssen. Nun sei Timbuktu ein gutes Beispiel „für ein Land, das sein Selbstbewu­sstsein zurückgewi­nnt“.

„Verbindung zur Geschichte wird zerstört.“

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Neu auf der Liste des UNESCO-Welterbes: Japans Industriea­nlagen, die Hamburger Speicherst­adt und die Ausgrabung­en der antiken Stadt Ephesos.
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Irina Bokova, UNESCO-Generaldir­ekt.

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