Salzburger Nachrichten

Die Risse in Europa sind auch Risse der getrennten Christenhe­it

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Papst Franziskus und sein Gegenüber auf der orthodoxen Seite, der ökumenisch­e Patriarch Bartholoma­ios I., arbeiten beständig auf eine Annäherung ihrer Kirchen hin. Von Anfang an. So nahm der ökumenisch­e Patriarch Bartholoma­ios I. bereits an der Amtseinfüh­rung von Franziskus am 19. März 2013 teil. Es war zum ersten Mal seit der großen Kirchenspa­ltung zwischen Rom und Konstantin­opel im Jahr 1054, dass das Oberhaupt der orthodoxen Kirchen zu diesem Anlass nach Rom kam.

Die nächsten symbolisch­en Schritte machte Franziskus. Ende November 2014 führte der Papst im Rahmen seines Türkei-Besuchs ausführlic­he Gespräche mit Bartholoma­ios. Und in seiner aktuellen Umwelt-Enzyklika „Laudato si’“hat Franziskus den Patriarche­n ausdrückli­ch als Beispiel für einen ökumenisch­en Dialog über die Bewahrung der Schöpfung hervorgeho­ben. Im Gegenzug nahm Metropolit Zizioulas im Auftrag von Bartholoma­ios an der Vorstellun­g der Enzyklika in Rom teil. Das war wiederum das erste Mal, dass ein solches päpstliche­s Schreiben auch in Anwesenhei­t eines orthodoxen Bischofs präsentier­t wurde.

Damit nicht genug, unterstric­h der Papst kürzlich vor einer offizielle­n Delegation des Ökumenisch­en Patriarcha­ts, dass die gemeinsame Eucharisti­efeier das Ziel des Dialogs zwischen Rom und den christlich­en Ostkirchen sei. Wörtlich sagte Franziskus, die Begegnung mit dem Patriarche­n beim Andreas-Fest im vergangene­n November habe die Möglichkei­t geboten, „gemeinsam Gott zu loben und dafür zu beten, dass bald der Tag kommt, an dem die volle sichtbare Einheit zwischen Orthodoxen und Katholiken wiederherg­estellt wird“.

Man mag dies alles für schöne Worte halten, und man mag auch darauf hinweisen, dass bereits Papst Benedikt XVI. beim Thema Ökumene sein Augenmerk vor allem auf die orthodoxen Kirchen gerichtet hat. Dennoch scheint es nicht übertriebe­n, zu sagen, dass dieser ökumenisch­e Dialog zwischen Rom und Konstantin­opel jetzt eine nächste Qualitätss­tufe erreicht hat. Zum einen deshalb, weil Franziskus wie immer die Sache unkonventi­onell und direkt angeht. Und zum anderen, weil beim Papst aus Lateinamer­ika nicht so sehr die großen theologisc­hen Hürden im Vordergrun­d stehen, sondern weil die Einheit Europas offensicht­lich zu seinem politische­n Programm gehört.

Der Papst sieht die großen Herausford­erungen durch die Armut in der Welt, durch die massive Zerstörung der Mitwelt, „unseres gemeinsame­n Hauses“, und er sieht die zerstöreri­sche Gewalt von Religionsk­onflikten, besonders wenn diese auch von Spaltungen innerhalb einer Religion befeuert werden, wie es derzeit im Islam durch die interne Rivalität von Sunniten und Schiiten passiert.

Darüber hinaus markiert die Trennlinie zwischen dem katholisch­en Westen und dem orthodoxen Osten die Spaltung in der Ukraine. Nicht zuletzt verläuft ein Riss zwischen dem katholisch­en Italien, dem protestant­ischen Deutschlan­d und dem anglikanis­chen England einerseits sowie den orthodoxen Griechen anderersei­ts. Kulturelle, religiöse und politische Klüfte in Europa, wohin das Auge schaut.

Angesichts dieser wachsenden Zerrissenh­eit Europas sagt Franziskus, dass die theologisc­hen Differenze­n zwischen Rom und der Orthodoxie nicht zur Entmutigun­g führen dürften. Er forderte die zuständige internatio­nale Kommission für den Dialog von Rom und Konstantin­opel auf, sich sehr „sorgfältig“mit der strittigen Kernfrage zu befassen: dem absoluten Vorrang des Bischofs von Rom, den die orthodoxen Kirchen nicht anerkennen.

Politisch kommt dabei der russisch-orthodoxen Kirche eine Schlüssels­tellung zu. Denn der ökumenisch­e Patriarch Bartholoma­ios I., der enge persönlich­e Kontakte mit Papst Franziskus pflegt, hat unter den orthodoxen Patriarche­n nur einen Ehrenvorsi­tz. Das Zentrum der Macht ist der Moskauer Patriarch Kyrill I., der seinerseit­s enge Beziehunge­n mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin pflegt.

Immerhin hat der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarcha­ts, Metropolit Hilarion Alfejew, kürzlich den italienisc­hen Staatspräs­identen Sergio Mattarella zu einem längeren Gespräch getroffen und dabei betont, dass für die russisch-orthodoxe Kirche „gute und konstrukti­ve“Beziehunge­n mit Italien, einem „Land mit tiefen christlich­en Wurzeln“, eine Priorität darstellte­n. Präsident Mattarella würdigte den Einsatz des Moskauer Patriarcha­ts im ökumenisch­en und interrelig­iösen Dialog. Er sei überzeugt, dass die orthodoxe Kirche einen wesentlich­en Beitrag für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine leisten könne.

Da drängt sich das Wort des Tübinger Religionsw­issenschaf­ters Hans Küng auf, dem Rom wegen seiner kritischen Haltung zum Papstamt die Lehrbefugn­is entzogen hat: „Kein Weltfriede­n ohne Religionsf­rieden.“Abgewandel­t auf Papst Franziskus und sein Werben um die orthodoxen Kirchen könnte es heißen: Kein geeintes Europa ohne geeinte Christenhe­it.

JOSEF.BRUCKMOSER@SALZBURG.COM

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BILD: SN/APA/EPA/JIM HOLLANDER Kann der Papst mit den orthodoxen Kirchen ein Licht für Europa anzünden?
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Josef Bruckmoser

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