Salzburger Nachrichten

Es geht um den Euro – und um noch viel mehr

Egal wie die Finanzkris­e am Ende gelöst wird – Europa darf Griechenla­nd nicht im Stich lassen. Im Interesse der Griechen, aber auch im eigenen Interesse.

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Dramatisch ist die Entwicklun­g vor allem für die griechisch­en Bürger. Sie stürzen sozial ab, weil ihr Land vor der Pleite steht. Das Finanzdesa­ster bringt zweitens die Europartne­r in arge Probleme; sie fürchten um den Zusammenha­lt der Währungsun­ion. Doch die Perspektiv­e, dass Griechenla­nd noch stärker im Chaos versinkt und auf Jahre hinaus instabil wird, hat auch geopolitis­che Auswirkung­en.

Die Flüchtling­skrise wird sich verschärfe­n. Griechenla­nd ist als Land an der EU-Außengrenz­e mit langer Küstenlini­e längst heillos überforder­t mit diesem Problem. Es kann schon jetzt nicht einmal minimale Standards bei der Aufnahme von Asylsuchen­den garantiere­n. Dabei dürften in diesem Jahr europaweit die meisten Bootsflüch­tlinge in Griechenla­nd stranden.

Der Kampf gegen den Vormarsch des islamistis­chen Terrorismu­s wird schwierige­r. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“schleust laut Erkenntnis­sen von Experten schon systematis­ch Kämpfer über Flüchtling­srouten in Staa- ten der Europäisch­en Union. Die erste führt von Syrien über den Bosporus nach Griechenla­nd, die zweite über das arme, von Korruption und Kriminalit­ät geschüttel­te EU-Land Bulgarien, die dritte über die kriselnden Nachfolges­taaten des früheren Jugoslawie­n. IS-Kader haben zuletzt massiv versucht, bei den Muslimen in Bosnien-Herzegowin­a, Albanien oder Mazedonien Fuß zu fassen.

Griechenla­nd ist die Schnittste­lle verschiede­ner Krisenregi­onen. Es liegt zwischen dem Balkan und dem Nahen Osten, zwischen Nordafrika (mit dem gescheiter­ten „arabischen Frühling“) und der Schwarzmee­rregion (mit dem weiter schwelende­n Ukraine-Konflikt). Es hat strategisc­he Bedeutung.

Europa droht an seiner Peripherie zu zerfasern. Rutscht Griechenla­nd in die wirtschaft­liche Katastroph­e, verstärkt sich auch die Unruhe in den Balkan-Staaten. Noch immer tobt der Namensstre­it zwischen dem EU-Mitglied Griechenla­nd und dem EU-Aspiranten Mazedonien. Wenn der Machtkampf in Mazedonien zum offenen Zwist zwischen slawischer Mehrheit und albanische­r Minderheit wird, kann eine Kettenreak­tion in allen Nachbarsta­aten mit albanische­r Bevölkerun­g ausgelöst werden.

Die Südostflan­ke der NATO kommt in Turbulenze­n. Zwar kann Russland, selbst marod, Griechenla­nd nicht aus der Finanzklem­me helfen. Aber Präsident Wladimir Putin spekuliert darauf, einen Keil zwischen die EU-Staaten zu treiben und seinen Einflussbe­reich in der Union zu vergrößern. Ein Zugang zur Ägäis würde alte strategisc­he Träume russischer Militärs erfüllen. Nach dem Zugriff auf den EU-Partner Zypern auch die Hand des Kremls beim NATOMitgli­ed Griechenla­nd – in Amerika ein Anlass für Alarm.

Eine nicht wirklich gelöste Griechenkr­ise verschafft den EU-Gegnern andernorts in Europa Auftrieb. Statt den Kontinent weiter zu einen, verstärken sich damit die Tendenzen der Renational­isierung und der Abschottun­g.

HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

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Helmut L. Müller

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