Ein Drogenboss handelt politisch
Der Thriller „Escobar – Paradise Lost“führt ins paradiesisch-diabolische Kolumbien der frühen Neunzigerjahre.
Ein paar Schritte noch durchs dichte Unterholz, und dann warten schon der weiße Muschelsand und die sanften Karibik-Wellen, die wie zart geklöppelte Spitze sanft am Strand versiegen. Es ist ein Surferparadies, das Nick (Josh Hutcherson, Co-Star von „Tribute von Panem“) und sein Bruder Dylan (Brady Corbet) entdeckt haben. Doch „Escobar – Paradise Lost“(ab Freitag im Kino) ist ein Thriller über den kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar (jovial-diabolisch: Benicio del Toro), den Kopf des mörderischen Medellin-Kartells, das bis in die frühen Neunzigerjahre den Kokain-Weltmarkt bestimmte.
Im Untertitel „Paradise Lost“ist der Grundgedanke schon enthalten: Was für ein schönes, friedliches Land könnte Kolumbien sein, hätte der Drogenhandel die jahrtausendealte Tradition des Kokablätterkauens nicht zum Milliardengeschäft pervertiert?
Mit Gringo-Naivität laufen Nick und Dylan in die lauen Wellen: Hier wollen sie ihr Surfcamp aufbauen, hier ihre Hängematten einrichten. Als Nick vor einem organisatorischen Problem steht, hilft ihm im Dorf die wunderschöne Maria (Claudia Traisac) und es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch leider ist die Umwelt weniger romantisch als die Beziehungssituation.
Der italienische Schauspieler Andrea Di Stefano („Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“) inszeniert in seinem Regiedebüt einen Ausschnitt aus dem Leben Pablo Escobars, und mischt dabei Fakten und Fiktion: „Escobar“benutzt den erfundenen Kanadier Nick, um in die Familie von Pablo Escobar einzuführen. Die schöne Maria ist nämlich Escobars fiktive Nichte, und dient als dramaturgisches Werkzeug, um den Gringo mit Onkel Pablo bekannt zu machen.
Ein kurzer Absatz in einem Buch über Escobar, über eine widerständige Nichte, deren Freund bei einer Explosion ums Leben gekommen war, habe ihn auf die Geschichte gebracht, sagt Andrea Di Stefano über seinen Film. „Escobar“ist in seiner Grundstruktur schnell durchschaut und spult den am Reißbrett entworfenen Plan der Erkundung eines verbrecherischen Familienunternehmens verlässlich ab, mit viel Blut, Gewehrfeuer, Lokalkolorit und feurigen Blicken. Für die Ver- antwortung der USA in der kolumbianischen Politik, für den Krieg gegen die Drogenkartelle bleibt nicht genug Zeit. Hier ist „Escobar“in etwa so tiefgründig wie die unsäglichen Drogenthriller der Neunzigerjahre.
Doch Di Stefano gelingt etwas anderes, nämlich die Charakterisierung Pablo Escobars als rücksichtslosen Populisten: Er verteilt Geldscheine an Bedürftige, wie das Politiker tun, um als Wohltäter dazustehen, während sie hinterrücks die Menschen ausnehmen. Und Escobar lässt seine Schergen missliebige Menschen ermorden – aufhängen, verbrennen, erschießen, auch für andere, die dann in seiner Schuld stehen. „Du bist für den Tod dieser Männer genauso verantwortlich wie ich“, droht er wenig subtil.
Mit dem volksnahen Auftreten von Pablo Escobar deutet der Film an, wie der Drogenhandel die feudalen Strukturen im Land de facto zementierte. Tatsächlich wurde ein Großteil der Gewinne aus dem Handel mit Kokain wieder in Kolumbien investiert, was den Drogenbossen in der Bevölkerung hohes Ansehen bescherte. Zumal der Handel mit Kokain von vielen als legitimer Export eines heimischen Produkts gesehen worden sei, sagt Di Stefano. „Dieser Ansatz hat mich fasziniert.“Doch das ist im Film nur ein Aspekt: Mit der banalen Liebesgeschichte als Antrieb ist „Escobar“kein gelungener Film geworden, doch immerhin ein respektables Debüt.
Film: