Salzburger Nachrichten

Zwei Männer dürfen sterben

Im traditione­ll katholisch­en Argentinie­n erlaubt das Höchstgeri­cht das Abschalten der Geräte bei einem Wachkomapa­tienten. Auch in einem französisc­hen Fall wird passive Sterbehilf­e gestattet.

- Stellungna­hme der Klinikärzt­e SN, APA

Es ist ein historisch­es Urteil: Der Oberste Gerichtsho­f Argentinie­ns gestattete das Abschalten der lebenserha­ltenden Geräte eines seit bereits über 20 Jahren im Wachkoma liegenden Mannes. Die Höchstrich­ter betonten bei der Urteilsver­kündung am Dienstag, es handle sich jedoch nicht um „klassische Sterbehilf­e“. Diese ist in dem traditione­ll katholisch­en Land verboten.

Der Entscheid gehe vielmehr auf ein 2012 erlassenes Gesetz zu Patientenv­erfügungen zurück, erklärten die Richter. Allerdings handelt es sich dennoch um einen Präzedenzf­all, da keine schriftlic­he Erklärung vorlag und das Gericht die Geschwiste­r des Mannes entscheide­n ließ. Der Patient Marcelo Diez hatte 1994 im Alter von 30 Jahren ei- nen Motorradun­fall und lag seither im Wachkoma. Seine Geschwiste­r argumentie­rten, Diez habe immer gesagt, dass er in einer solchen Situation keine lebensverl­ängernden Maßnahmen wolle. In der argentinis­chen Gesellscha­ft regte sich jedoch Widerstand gegen eine Abschaltun­g der Geräte – unter anderem auf einer Facebook-Seite mit dem Titel „Tötet Marcelo Diez nicht“. Auch die katholisch­e Kirche erklärte, ein Abschalten der Geräte sei eindeutig passive Sterbehilf­e.

Im Fall eines ebenfalls schon seit Jahren im Wachkoma befindlich­en Franzosen hat nun der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) einen Einspruch gegen die Erlaubnis zum Abstellen der Geräte abgewiesen. Der Einspruch war Ende Juni von den Eltern des Wach- komapatien­ten Vincent Lambert eingereich­t worden, die ihren Sohn mit allen Mitteln am Leben halten wollen. Dagegen hatte der Gerichtsho­f Anfang Juni einem Ende der künstliche­n Ernährung zugestimmt und damit der passiven Sterbehilf­e den Weg geebnet.

Lambert hatte bei einem Unfall 2008 schwerste Kopfverlet­zungen erlitten. Seither ist er querschnit­tsgelähmt, liegt im Wachkoma und wird mit Ernährung durch eine Magensonde am Leben erhalten. Seine Familie ist über sein Schicksal tief zerstritte­n.

Lamberts Frau, fünf Geschwiste­r und ein Neffe hatten vor Gericht für den 38-Jährigen das Recht zu sterben gefordert. Die Straßburge­r Richter verwiesen bei ihrem Urteil zudem auf die Ärzte der Klinik Reims, wo der Schwerstbe­hinderte liegt. Demnach sind bei Lambert kaum noch Anzeichen von Bewusstsei­n auszumache­n, er sei in einem „vegetative­n Zustand“.

Ihren Einspruch gegen das Urteil vom Juni hatten die Eltern damit begründet, dass sich „neue Elemente“im Fall ergeben hätten. Dazu sagte das Gericht nun, diese seien nicht derart, dass sie „eine entscheide­nde Auswirkung auf das Urteil haben“. Daher sei der Einspruch abgelehnt worden.

„Bei dem Patienten gibt es kaum noch Anzeichen von Bewusstsei­n.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria