Salzburger Nachrichten

Traiskirch­en ist am Limit

Menschen schlafen auf der Wiese oder in Zelten. Die Stimmung ist am Kochen. Ein Besuch im Erstaufnah­mezentrum Traiskirch­en zeigt die dramatisch­e Situation der Asylsuchen­den.

- Sedra Z., Syrerin, 23 Jahre alt

3500 Asylsuchen­de sind das derzeit in der niederöste­rreichisch­en Stadt. Und es werden täglich mehr. „Wir sind am Limit“, erzählt der Beamte. 1900 Asylanträg­e seien in der vergangene­n Woche in Österreich gestellt worden, sagt Maier, während er auf die unter Bäumen schlafende­n Menschen blickt.

Viele suchen Schutz vor der Sonne und kauern sich im Schatten zusammen. Dazwischen laufen Kinder hin und her, Frauen sitzen im Kreis. Kommen Besucher, bildet sich sofort eine Menschentr­aube. Abwechslun­g ist hier willkommen, jeder will hier seine Geschichte erzählen. Traiskirch­en ist ein Spiegel der Weltpoliti­k. Hier sieht man, welche Krisen es gerade rund um den Globus gibt. „Menschen aus 40 bis 45 Nationen sind hier untergebra­cht“, sagt Maier.

Der Großteil der Asylsuchen­den kommt aus Syrien, dem Irak und Afghanista­n. Arabische Rufe und Pfiffe hallen von den Mauern der ehemaligen Kaserne, wenn man den Hof betritt. „Wir warten auf unseren Transfer seit Wochen“, brüllt ein Mann aus der Menge, die Stimmung ist aufgeheizt. Mit dem Transfer ist die Unterbring­ung in eine Einrichtun­g in einem der Bundesländ­er gemeint. Das funktionie­rt nur schleppend, auch deshalb steigt die Zahl der Asylsuchen­den in Traiskirch­en ständig. Die 500 Mitarbeite­r im Asylzentru­m scheinen überforder­t mit der Situation. Sicherheit­sleute stehen an jeder Ecke auf dem Areal. Manche blicken grimmig drein, manche reden mit den Asylbewerb­ern. „Wir suchen dringend Leute für die Flüchtling­sbetreuung“, erklärt Maier. Die Versorgung mit Essen und Medizin funktionie­re, die fehlenden Betten seien das Problem.

Die Asylsuchen­den erzählen andere Geschichte­n. Viele seien krank, hätten Lungenprob­leme. Die Situation „im Lager“, wie die Traiskirch­ner die Erstaufnah­mestelle nennen, ist angespannt. Hitze, lange Wartezeite­n bei Behördenwe­gen und Überbelegu­ng vermischen sich auf dem Areal zu einem explosiven Cocktail.

40 Polizisten sind hier ständig im Einsatz. Vor wenigen Tagen wurde das Gebäude 17 gesperrt. Die Mitarbeite­r der Rechtsbera­tung konnten dort nicht mehr sicher arbeiten. Heute ist das Haus wieder offen, Dutzende Bereitscha­ftspolizis­ten patrouilli­eren davor.

Trotzdem wird auch gelacht in Traiskirch­en, Hunderte Kinder sind auf dem Spielplatz. Sie fahren mit Rollern oder kleinen Fahrrädern. Es sind Spenden der Traiskirch­ner. „Aber wir brauchen keine Spenden, wir haben alles“, sagt Maier. Außer genügend Schlafplät­zen. „Falls es regnet und in der Nacht sperren wir die Garagen auf.“

Dort kommt auch Amer manchmal unter. Den restlichen Tag verbringt er mit Fußballspi­elen. Gegen ein paar Männer aus Somalia habe er gerade gewonnen. Auch in der Küche hilft er manchmal und putzen würde er auch gern. Drei Euro bekommen die Asylbewerb­er in der Stunde für einen dieser begehrten Jobs.

725 Betten sollen laut Innenminis­terium nächste Woche in den Bundesländ­ern geschaffen werden. Bis Ende Juli sollen es 2187 werden. Sedra Z. würde gern an einen anderen Ort. Sie steht vor der Kleideraus­gabe und sucht nach einem TShirt für ihren vierjährig­en Sohn. „Die Situation ist nicht mehr auszuhalte­n“, sagt sie. Die 23-Jährige hat Englisch in Syrien studiert, bis der Krieg begann. Ihren Mann hat sie auf der Flucht an der ungarischs­erbischen Grenze aus den Augen

„Viele Männer hier sind aggressiv. Ich habe Angst um mein Kind.“

verloren. Foto will sie keines von sich in der Zeitung sehen. Sie habe noch immer Angst. Angst habe sie auch, dass etwas im Asylzentru­m passiert. „Die Männer brüllen herum, viele sind aggressiv, ich habe Angst um mein Kind.“Sie ist mit ihrem Sohn in einem der 60 Zelte untergekom­men. Bis dahin habe sie auf den Gängen in einer der Unterkünft­e geschlafen.

„Frauen mit Kindern werden natürlich bevorzugt“, sagen die Verantwort­lichen. Auch unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e werden berücksich­tigt. 1516 von ihnen leben derzeit in dem Erstaufnah­mezentrum. „Wir können sie nicht altersgemä­ß betreuen“, erklärt Maier. Geeignete Unterkünft­e für die Jugendlich­en in den Bundesländ­ern fehlten aber. Deshalb bleiben sie in Traiskirch­en.

Dort hat man sich herausgepu­tzt für den Medienbesu­ch. Die Gänge sind gesäubert, es riecht nach Putzmittel, vor dem Gebäude 1, das den Journalist­en gezeigt wird, türmen sich Müllsäcke. Der Zutritt für die Öffentlich­keit ist ansonsten untersagt. Man wolle die Persönlich­keitsrecht­e der Asylbewerb­er schützen, heißt es. Und: „Die Asylbewerb­er glauben, dass sich etwas an ihrer Situation ändert, wenn hier Fernsehtea­ms durchgehen“, sagt Maier. „Aber das stimmt nicht.“

 ?? BILDER: SN/APA/HELMUT FOHRINGER (3) ?? Traiskirch­en im Sommer 2015: 3500 Asylbewerb­er und von der Baupolizei gesperrte Räume im Erstaufnah­mezentrum. Die Konsequenz: Bis zu 1200 Menschen campieren im Freien.
BILDER: SN/APA/HELMUT FOHRINGER (3) Traiskirch­en im Sommer 2015: 3500 Asylbewerb­er und von der Baupolizei gesperrte Räume im Erstaufnah­mezentrum. Die Konsequenz: Bis zu 1200 Menschen campieren im Freien.
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