Die Krux mit der freiwilligen Verpflichtung
Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht. Die EU möchte zumindest 60.000 auf dem Kontinent verteilen.
Neuer Vorsitz, altes Thema: Die EU-Innenminister ringen weiter um die Verteilung von 60.000 Flüchtlingen, seit voriger Woche unter Leitung von Luxemburg. Nach dem Treffen hieß es Donnerstagabend, man habe sich auf die Umsiedlung von 20.000 bereits von der UNO anerkannten Flüchtlingen direkt aus Krisengebieten geeinigt. Was die Verteilung von 40.000 Schutzsuchenden betreffe, die über Italien und Griechenland in die EU eingereist seien, dauerten die Verhandlungen noch an.
Die Verteilung von 60.000 sei „keine Riesenleistung angesichts des Problems“, hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch im EU-Parlament gesagt. „Stolz können wir darauf nicht sein.“
Das stimmt vor allem deshalb, weil die Aufnahme von Flüchtlingen kein Akt der Nächstenliebe ist, sondern eine Verpflichtung – eine humanitäre, aber auch eine rechtliche. Der Großteil der Menschen, die derzeit vor allem in Griechenland ankommen, stammt aus Krisengebieten und hat ein Anrecht auf internationalen Schutz. Die EU trägt hier nicht nur als Werte-, sondern auch als Rechtsgemeinschaft eine Verantwortung.
Nun haben sich die 28 Staatsund Regierungschefs bei den letzten Gipfeln zu dieser Verantwortung bekannt. Dass die Länder an den EU-Außengrenzen sie nicht allein schultern können, auch darüber war man einig. Solidarität wurde bekundet, aber ohne Verpflichtung. Eine Verteilung von Flüchtlingen darf es nur auf freiwilliger Basis geben. Die Kommission war von Anfang an skeptisch, was dieses Prinzip der Freiwilligkeit betraf. „Wir wissen, wie gut das in der Vergangenheit funktioniert hat“, meinte eine Sprecherin ironisch. Einige Länder haben Vorschläge gemacht, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen würden. Slowenien etwa sprach von 250 bis 300. Nur halb so viele, wie die Kommission in ihrem Verteilungsschlüssel vorgesehen hätte.
Generell sind es niedrige Zahlen, über die diskutiert wird. Um das zu sehen, muss man nicht einmal UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres zitieren, der von mehreren Millionen Syrern spricht, die ihre Heimat verlassen haben. Allein in Griechenland sind heuer bereits 78.000 Flüchtlinge angekommen.
Bei der aktuellen Debatte um die Verteilung geht es aber im Grunde um mehr als 60.000 Menschen. Es geht darum, welche EU-Staaten wie viel Verantwortung tragen können und nach welchen Kriterien man das misst. Es geht um wirtschaftliche und verwaltungstechnische Kapazitäten. Es geht um die Frage, wo Länder mit Außengrenzen Unterstützung brauchen, um eine zuverlässige Registrierung und Erstaufnahme abzuwickeln. Das ist für viele Binnenländer eine Voraussetzung für die EU-weite Aufteilung.
Diese Fragen müssen geklärt sein. Dann kann es gelingen, vorerst einmal 60.000 Menschen umzusiedeln. Nur dann könnte sich die Hoffnung von Guterres erfüllen, „dass diese Programme in Zukunft größer und verpflichtend werden“.