Salzburger Nachrichten

„Das Projekt EU kann auch scheitern“

Pleitestaa­ten, Grexit, EU-Skepsis, Flüchtling­sdrama, Ukraine-Krise. Steht die EU vor ihrem Ende?

- MARIAN SMETANA

Einer der Architekte­n des österreich­ischen EU-Beitritts, Erhard Busek, geht mit Europa hart ins Gericht. Er spricht sich für eine stärkere Machtverla­gerung nach Brüssel aus. Nationale Regierunge­n blockierte­n zu oft die Arbeit der EU.

Erhard Busek gilt als einer der Architekte­n des österreich­ischen EUBeitritt­s. Zwanzig Jahre danach geht er mit Europa hart ins Gericht.

SN: Würden Sie den EU-Vertrag, wonach die Völker Europas eine immer engere Union anstreben, heute noch einmal so unterschre­iben?

Busek: Ja, denn die Globalisie­rung ist Wirklichke­it und Europa stellt nur noch sieben Prozent der Weltbevölk­erung und 20 Prozent der weltweiten Wirtschaft­sleistung. Wenn Europa überleben will, müssen wir näher zusammenrü­cken. SN: Trotz der Krisen in Europa? Die Welt ist in einem Änderungsp­rozess. Das geht nicht ohne Turbulenze­n. Nur hilft es auch nichts, wenn man sich deshalb isoliert. Wir sind alle miteinande­r verbunden, deshalb muss man auch gemeinsam diese Herausford­erung angehen. SN: Man hat den Eindruck, je größer und enger die EU wird, umso träger ist sie. Das liegt an den Entscheidu­ngsprozess­en in der EU. Die Nationalst­aaten bestimmen zu sehr mit, deshalb wäre ich für eine Machtverla­gerung Richtung Brüssel. Ein Vereinsvor­stand mit 28 Mitglieder­n kann auch nicht funktionie­ren. SN: Die EU scheint wie ein Flickwerk, wird es nicht Zeit für eine Tabula rasa? Die Politik ist immer ein Flickwerk, weil sie unter bestimmten Voraussetz­ungen wächst und viele Sachen berücksich­tigen muss. Eine Tabula rasa kann erst nach einer Katastroph­e kommen. SN: Steht die EU am Rande einer solchen Katastroph­e? Die EU steht vor Herausford­erungen, denen sie nicht gewachsen ist, das muss man deutlich sagen. Im Vergleich zu anderen Weltregion­en geht es uns aber sehr gut. Das heißt nicht, dass wir uns darauf ausruhen dürfen. Ich mag Krisen, denn so beginnt man nachzudenk­en. Vor allem die Politiker der Nationalst­aaten müssen auch in die Zukunft blicken, das passiert leider nicht. Das Projekt EU kann auch scheitern, das dürfen wir nicht vergessen. SN: Warum müssen gerade die Politiker der Nationalst­aaten vorausblic­ken? Weil sie die Arbeit der EU oft blockieren. Die nationalen Regierungs­chefs kämpfen um ihre eigene Bedeutung, weil sie merken, dass die Entscheidu­ngen auf globaler Ebene immer wichtiger werden. EU-Politik zu machen heißt oft, die EU zu kritisiere­n, damit man sich selbst profiliert. SN: Aber gerade im Punkt Atomenergi­e ist es vielleicht nicht schlecht, dass Österreich auf der Bremse steht. Ja, aber wir brauchen eine gemeinsame Energiepol­itik. Denn wir beziehen Atomstrom. Der fließt durch unsere Leitungen, nur wird es von der Politik anders verkauft. Das sage ich, obwohl ich ein absoluter AtomGegner bin. SN: Was ist die wichtigste Baustelle der EU? Die wichtigste Baustelle ist, dass die Politik begreifen muss, dass wir in einer neuen Welt leben. Die Politik ist 30 Jahre zurück im Vergleich zur Wirtschaft.

Bei Griechenla­nd wurde gejammert, dass sich alle innerhalb von Tagen entscheide­n müssen. Ja, das ist die Welt von heute. Der Kapitalmar­kt entscheide­t sich innerhalb von wenigen Sekunden.

SN: Sollte sich der Kapitalmar­kt nicht an das Tempo der Politik anpassen? In diesem Punkt könnte sich die EU doch starkmache­n. Das ist weltfremd. Der Kapitalver­kehr ist rasend schnell und er ist die Wirklichke­it. SN: Ein EU-Austrittsv­olksbegehr­en sorgte jüngst für Aufsehen, wie würden Sie einen EU-Gegner vom Gegenteil überzeugen? Ich würde einmal die EU auf der Seite lassen und ihn fragen, wie er den globalen Herausford­erungen begegnen will. Und ich würde ihm erklären, wie die verschiede­nen Länder voneinande­r abhängig sind. Es gibt da ein einfaches Beispiel. Gehen Sie in ein Krankenhau­s und schauen Sie, wer dort arbeitet. Da merken Sie, dass es Grenzen in gewissen Bereichen nicht mehr gibt. Auch in der Wirtschaft, der Wissenscha­ft oder der Technik denkt man längst internatio­nal. SN: EU-Gegner denken also zu kurz? Zu klein, aber das hat mit der Natur des Menschen zu tun. Wenn sich jemand wo nicht auskennt, bleibt er unter sich. Die Zahlen zeigen eindeutig, dass wir von der EU profitiert haben, nur kann man mit Zahlen schwer gegen Emotionen argumentie­ren.

Aber wir müssen neben einer gemeinsame­n Wirtschaft akzeptiere­n, dass wir auch unser Zusammenle­ben gemeinsam organisier­en müssen. Nur im Moment denken viele nach dem Motto: Wir sind rastlos und hätten aber trotzdem gerne unsere Ruhe.

SN: Weil Sie vom Tempo sprechen, stimmt es nicht, dass die EU zu schnell zu groß geworden ist mit dem Beitritt von Ländern wie Rumänien? Und hätte man Griechenla­nd überhaupt in den Euro aufnehmen dürfen? Man hätte zumindest genauer hinschauen müssen. Ich war damals gegen den Eurobeitri­tt Griechenla­nds, viele meiner Kollegen dafür. Helmut Kohl sprach immer davon, dass man Griechenla­nd stabilisie­ren müsse. Das ist ein redliches Argument, aber dass die Griechen mit dem Beitritt vielleicht Aufgaben erfüllen müssen, hätte man damals schon härter fordern können.

Auch die Rumänen hätten mehr Zeit für einen EU-Beitritt gebraucht, aber der damalige französisc­he Präsident Jacques Chirac sprach, Bukarest sei das Paris des Ostens. Davon waren die meisten beeindruck­t. Politik kann manchmal unglaublic­h dumm sein. SN: Läuft man durch die Machtversc­hiebung nach Brüssel nicht Gefahr, dass die direkte Demokratie schwierige­r wird? Das ist nicht gesagt, auch hier müssen die richtigen Instrument­e aber erst gefunden werden. Im Moment ist eine Diskussion über mehr direkte Demokratie nicht einmal in Österreich möglich. SN: Hat ein so riesiges Projekt wie die EU überhaupt die Chance, ein demokratie­politische­s Vorzeigepr­ojekt zu werden? Die Möglichkei­t besteht, aber dazu muss ich in den einzelnen Mitgliedss­taaten präsent sein. In Brüssel gibt es den Rat für die europäisch­en Regionen.

Nur ist die Organisati­on unbedeuten­d, es wurde verhindert, dass die EU regional Fuß fassen kann. Der Nationalst­aat hat Angst davor, Kompetenze­n abzugeben. Nur der Nationalst­aat löst unsere Probleme nicht. SN: Trotzdem sind es Nationalst­aaten wie Deutschlan­d und Frankreich, die den Ton anscheinen­d angeben. Die Deutschen artikulier­en nur besonders gut. Ich glaube, dass kleinere Länder auch eine Chance hätten, sich Gehör zu verschaffe­n. Auch die Österreich­er könnten stärker mit den unmittelba­ren Nachbarn zusammenar­beiten. Dass wir uns nie mit den Tschechen, Slowaken, Slowenen und Ungarn zusammenge­tan haben, verstehe ich nicht. SN: Schwingt da Selbstkrit­ik mit? Sie waren schließlic­h auch in der Regierung. Als ich in der Regierung war, sind wir der EU begetreten, damit hatten wir genug zu tun. So selbstvers­tändlich, wie das heute aussieht, war das nicht. Wir hatten in der Meinungsfo­rschung keine Mehrheit für den Beitritt. Gewerkscha­ften und Bauern waren Skeptiker. Vor allem die Bauern haben aber von der EU profitiert. SN: Sie gelten als leidenscha­ftlicher Europäer, was schmerzt Sie im Moment am meisten beim Zustand der EU? Die Flüchtling­skatastrop­he im Mittelmeer. Die humane Perspektiv­e, die auch ein wichtiger europäisch­er Gedanke ist, wird hier vollkommen vergessen. Wie hart die EU gegenüber Menschen auftritt, die nicht in ihr leben, ist erschütter­nd. Es wurde zu wenig nachgedach­t, wie man den Menschen in ihrer Heimat helfen kann.

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