Salzburger Nachrichten

Syriza ist in einer Zerreißpro­be

Mit der Annahme des neuen Spar- und Reformprog­ramms hat Ministerpr­äsident Alexis Tsipras offenbar viele Anhänger seiner Partei enttäuscht.

- Vassilis, Student in Athen SN, dpa

Mit prüfendem Blick überfliegt der Rechtsanwa­lt Yannis Chatzianto­niou die ausgehängt­en Zeitungen am Kiosk auf dem Kotzia-Platz im Zentrum von Athen. Das einzige Thema auf allen Titelseite­n: das klare Votum des griechisch­en Parlaments für das neue Sparpaket, das den Weg zu neuen, bitter benötigten internatio­nalen Krediten ebnen soll. „Ich bin nicht zornig“, sagt der 55-Jährige und stellt seine Aktentasch­en neben sich auf dem Boden ab. „Aber ich befürchte, dass sich dieses Maßnahmenp­rogramm nicht wird umsetzen lassen.“Das Paket, das am frühen Donnerstag­morgen im Parlament beschlosse­n worden ist, sieht höhere Mehrwertst­euersätze, die Abschaffun­g der Frühpensio­n und die Anhebung des Pensionsan­trittsalte­rs vor.

„Ich bin Firmenanwa­lt“, sagt Chatzianto­niou und fügt hinzu: „Die Gesellscha­ft ist in der Krise, die Wirtschaft ist in der Krise. Alle meine Kunden kämpfen mit Problemen. Fast die Hälfte von ihnen ist schon pleite oder steht vor der Liquidatio­n.“Neue Belastunge­n seien nicht zu verkraften. Sein Handy klingelt, er nimmt den Anruf entgegen. „Das war wieder eine Firma, die mir mitteilte, dass sie dichtmacht“, sagt er achselzuck­end.

Die 33-jährige Sonnenbril­lenverkäuf­erin Olga Papai sieht das Ganze gelassener. „Es gab keine andere Lösung“, kommentier­t sie das Parlaments­votum, das die regierende Linksparte­i Syriza gegen die ab- lehnende Haltung von knapp 40 Abweichler­n aus den eigenen Reihen nur mit den Stimmen der Opposition durchbrach­te. „Da müssen wir jetzt durch. Es wird wieder besser werden, mit der Zeit, vielleicht.“Die Frau ist als Kind albanische­r Einwandere­r in Griechenla­nd geboren. Ihre Eltern waren damals vor dem Kommunismu­s geflohen. „Wir spüren Einschnitt­e, aber wir gaben früher auch ganz gut Geld aus“, sagt sie.

Für die Syriza von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras bedeutet die Annahme des Sparpakets eine Zerreißpro­be. Wegen der vielen Neinstimme­n hält Innenminis­ter Nikos Voutsis vorgezogen­e Parlaments­wahlen im Herbst für möglich. Nicht nur die Abweichler in der eigenen Fraktion geben Tsipras Anlass zur Sorge. In der Nacht auf Donnerstag protestier­ten Tausende Menschen vor dem Parlaments­ge- bäude, in dem gerade die Sparmaßnah­men erörtert wurden, auf dem Syntagma-Platz. Dass MolotowCoc­ktails flogen, ein paar Autos in Flammen standen und die Polizei die Demonstran­ten mit Tränengas vor sich her trieb, ist aus griechisch­er Sicht fast schon bittere Tradition bei Debatten über Sparpläne.

Nun war es aber das erste Mal, dass die Syriza-Regierung zum Adressaten dieser Art von Protesten wurde. Unter den Demonstran­ten waren viele junge Anhänger und Wähler der Linksparte­i. „Vor zwei Monaten war noch Hoffnung“, sagt der 19-jährige Chemiestud­ent Vassilis. „Doch diese Regierung ist jetzt so wie die vorigen.“

Jetzt müssen die Parlamente in diversen Eurostaate­n der Aufnahme von Verhandlun­gen für ein drittes Hilfspaket für Athen zustimmen – etwa heute, Freitag, der Deutsche Bundestag.

„Diese Regierung in Griechenla­nd ist jetzt wie ihre Vorgänger.“

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BILD: SN/AP Er beuge sich einer Erpressung, sagte Premier Alexis Tsipras im Parlament in Athen über sein Ja zum neuen Hilfsprogr­amm für Griechenla­nd.

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