Salzburger Nachrichten

Müll eint Gestank und Schönheit

Faulendes Gemüse und zertretene Blüten werden ansehnlich, ja sogar schön, wenn der Fotograf Dieter Huber sie arrangiert.

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SALZBURG, HALLEIN. Im Mülleimer verdirbt Verrottung­sgestank den Duft von Pfirsich und Banane. Die Fäulnis steckt das sonnengere­ifte Fleisch an. Und doch birgt so ein grausliche­s Sammelsuri­um Schönheit, die der Fotograf Dieter Huber in seinen Bildern hervorholt. Sechs Jahre lang hat er auf vier Kontinente­n Abfall fotografie­rt – in Siggerwies­en wie in Wien, Palermo, Glasgow, Seoul oder in südafrikan­ischen Homelands. 180 hat er speziell bearbeitet und zur Serie „Waste“geformt, die als Buch erschienen ist und nun erstmals im „kunstraum pro arte“in Hallein ausgestell­t wird.

Warum zeigt er Müll? Eigentlich entstehe Abfall, wenn „das Schöne ins Hässliche kippt“, sagt Dieter Huber. Aber „ich drehe das Spiel um“. Er verwandle „den Dreck und den Mist der Welt“in hoch ästhetisch­e Objekte. Aus dem, was dem Verfall preisgegeb­en sei, mache er Bilder.

Damit meint er nicht nur das Fotografie­ren und Bearbeiten, sondern auch das Material: Seine Fotos zieht er auf mitteldich­te Holzfaserp­latte, kurz: MDF. Das sei „zusammenge­leimtes pulverisie­rtes Holz“, erläutert Dieter Huber und versichert: „Der Bildträger selbst ist Recyclingm­aterial.“

Seine Bilderseri­e „Waste“sei Dokumentar­fotografie; sie zeige „Ausschnitt­e aus der Welt“, wenngleich „farblich nachbearbe­itet und perfektion­iert“. Zu sehen sind etwa Obst und Gemüse im Müllcontai­ner eines Supermarkt­s oder ein Berg von ausrangier­ten Telefonen. Auch Kupferdräh­te und -bleche, alte Plastikfla­schen in einem Tümpel oder zertretene Flaschenkr­onen wirken auf den von ihm arrangiert­en und bearbeitet­en Fotos wunderschö­n. Bilder von gebrauchte­n Flugticket­s, von welk gewordenen dunkelrote­n Rosen und von alten Büchern stimmen melancholi­sch. Sogar das fein komponiert­e Foto mit Resten von dem, was offenbar von geschlacht­eten Hühnern nach dem Filetieren übrig bleibt, entlockt erst aufs dritte Hinschauen ein „iiiiiii“.

Seine Fotos seien „voller Objekte“, sagt Dieter Huber. „Aber es geht um das, was dahinterst­eckt, um die Auseinande­rsetzung mit dem, was und warum und wie etwas von Din- gen übrig bleibt.“Vor allem enthüllen die Blicke in den Müll unsagbaren Überfluss und eine Verschwend­ung, die sich nach und nach zur globalen Katastroph­e auswächst. Um die Menschen auf diesen von ihnen selbst erzeugten Missstand hinzulenke­n, verführt sie der Fotograf mittels Schönheit.

Dass diese als Lockmittel erforderli­ch ist, hat sich bei der Vernissage in Hallein gezeigt. Da waren die Besucher eingeladen, ihren eigenen, an diesem Tag gesammelte­n Abfall mitzubring­en und auf ein Podest zu stellen. Doch vielen Menschen war es peinlich, den eigenen Müll zu zeigen. Dieter Huber folgert, „dass der persönlich­e Müll eine der letzten Tabuzonen ist“.

Nicht nur um zu verführen, paart der Fotograf das Hässliche mit dem Schönen. Das Faszinosum des Grausliche­n und des Katastroph­alen sei psychologi­sch mit einem „Stellvertr­eter-Argument“zu erklären, sagt Dieter Huber. Der Betrachter sei bei etwas Argem dabei, ohne selbst betroffen zu sein. Daher ziehe es Zuschauer heutzutage zu Unfällen oder anderen Unglücken so wie einst zum Pranger oder zu öffentlich­en Hinrichtun­gen.

Auch Rainer Maria Rilke hat in der ersten „Duineser Elegie“diesen sonderbare­n Zusammenha­ng for- muliert: „Das Schöne ist nichts als des Schrecklic­hen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.“

Zudem sei in der christlich­en Kultur die Darstellun­g des Hässlichen und Grauenhaft­en jahrhunder­telang gepflegt worden, erläutert Dieter Huber. Bilder von der Hölle, von Qualen der Märtyrer und vom Leiden Christi seien dramatisch zugespitzt worden, insbesonde­re im Barock. An die Mischung von Schönheit und Grauen sind Europäer also längst gewöhnt.

Dieter Huber folgt in seiner „Waste“-Serie noch einer anderen europäisch­en Bild-Tradition, jener der Stillleben. Auch diese führen an die Grenze von Leben und Tod, indem sie etwa lebensspen­dende, reife Früchten zeigen oder blühende Blüten – beide werden demnächst faulen oder welken. Während frühe Stillleben sich dem Tod über Zeugen des gefühlvoll­en, prallen, intensiven Lebens nähern, wie es sich in Blüten, Speisen oder Musikinstr­umenten ausdrückt, kommt Dieter Huber von der anderen Seite. Er zeigt verrottend­es Gemüse, dem man ansieht, wie knackig und g’schmackig es zu genießen gewesen wäre; er zeigt gepresste Alu-Dosen, die einst das prickelnde, erfri- schende Getränk enthielten; er zeigt weggeworfe­ne Apparate samt Hörer und Kabel, die einst miteinande­r sprechende Menschen verbanden. Warum passt das zusammen? „Schönheit ist nur der Gipfel der Bemühungen, Leben zu erzeugen, das dann in sich zusammenfä­llt“, stellt Dieter Huber fest.

Zu welchen Gedanken will er mit diesen Bildern anregen? Müll sei etwas „Randständi­ges“in unserem Alltag, sagt der Fotograf. Wir wollen es aus den Augen, aus dem Sinn haben. Und doch: „Müll umgibt uns. Jeder Mensch erzeugt permanent Müll.“Und Müll sei ein „Riesengesc­häft“, ein politische­s wie ein soziales Problem. Überfluss und Vergeudung – folglich Abfall – hingen zusammen mit unterbezah­lten Erntehelfe­rn in Afrika, mit Kinderarbe­it in Asien, mit Transporte­n und CO -Ausstoß, mit Umweltverg­iftungen oder unverrottb­arem Plastik. Dieter Huber stellt fest: „Eine wirklich zivilisier­te Gesellscha­ft erzeugt überhaupt keinen Müll.“

Ausstellun­g:

„Müll ist eine der letzten Tabuzonen.“

Buch

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BILD: SN/DIETER HUBER Künstleris­ch verarbeite­ter Blick in den Müllcontai­ner eines Wiener Supermarkt­s.
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Dieter Huber, Fotograf

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