Im Raum, wo Beethoven original klang
Dirigent Martin Haselböck lässt Beethovens Symphonien an ihren „Originalschauplätzen“in Wien spielen.
Beethoven ist so etwas wie der Störfall der Wiener Klassik, wenn man diese Zeitspanne der Musikgeschichte und ihre drei Hauptrepräsentanten, Haydn, Mozart und eben Beethoven, als eine Trias kunstvoller harmonischer Vollendung betrachtet. In allem drängt Beethoven ins radikal Individuelle.
Der Regisseur Claus Guth, der derzeit im Großen Festspielhaus für die Salzburger Festspiele seine erste Annäherung an „Fidelio“probiert, das Opern-Schmerzenskind, an dem sich Beethoven zehn Jahre lang abarbeitete, ohne dafür letztlich eine definitiv dramaturgisch abgerundete Form zu finden, spricht davon, wie sehr dieses Werk die Grenzen überschreite, die Enge sprenge, das eigentlich nicht mehr Singbare zum Singen bringe. Oder müsste man nicht treffender sagen: zwinge? Jede einzelne Nummer der Partitur sei, sagt Guth, wie eine Insel, ein jeweils in sich geschlossener Ort, Musik als utopischer Moment.
Man kann den Gedanken weiterspinnen: die 32 Klaviersonaten – ein ganzer Kosmos des Einzigartigen, Unwiederholbaren; die Streichquartette – ein lebenslanges Experimentierfeld der Erweiterung des subjektiven Ausdrucks; die neun Symphonien – ein gigantisches Massiv, das bei jeder Besteigung andere Facetten einer unermesslichen Landschaft entdecken lässt. Das erklärt ihre Faszination für Ausführende und Hörer. Aber erklärt es auch die Popularität, die diese Werke immer und immer wieder in den Konzertsaal bringt? Das ist ja nicht die Wohlfühl-Klassik, die heute wieder Platz greift, sondern aufrüttelnder, unbequemer, eigentlich gar nicht kommensurabler Stoff.
„Kaum eine andere Musik der Klassik wird so viel gehört und hat sich im kollektiven Bewusstsein so eingebrannt wie die Symphonien Beethovens“, sagt Dirigent Martin Haselböck in einem Interview. Gemeinsam mit seinem Orchester, der Wiener Akademie, hat er sich in der vergangenen Saison damit zu beschäftigen begonnen, der sogenannten historischen Aufführungspraxis, die bislang großteils nur Material und Spieltechniken untersuchte, um eine Ahnung vom „Klang der Zeit“zu geben, eine neue Dimension abzuhören.
Sein neuer Ansatz ist die Architektur der „originalen“Säle in Wien, wo Beethovens Symphonien erklungen sind. „ReSound Beethoven“nennt Haselböck sein Projekt, das die Revitalisierung der „Originalschauplätze“betreibt – soweit sie noch vorhanden sind, was bei vier der sechs Uraufführungsorte der neun Symphonien der Fall ist. Außerdem gibt es noch acht Wiener Säle und Theater, in denen Beethovens Orchesterwerke zu seinen Lebzeiten gespielt wurden.
In den bisherigen Konzertprojekten erklang also die Achte im Thea- ter in der Josefstadt, die Erste im Landtagssaal des Palais Niederösterreich, die Siebte im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die Zweite im Großen Redoutensaal der Wiener Hofburg, wo Ende September auch die Neunte aufgeführt wird. Die Vierte, Fünfte und Sechste folgen dann im Verlauf der Saison im Theater an der Wien.
Je nach Größe des Saals variierte einst auch die Zahl der beteiligten Musiker – oftmals Laien, die in Beethovens Orchestern saßen und unter widrigsten Verhältnissen spielen mussten. Und in den Sälen drängten sich – stehend – die Zuhörer. Das war eine ganz andere als die heute bekannte bequem repräsentative Haltung. Auch das wollte Martin Haselböck versuchsweise rekonstruieren, wie er in dem zitierten Interview erwähnt: 1200 Stehplätze statt 600 (sitzende) Hörer im Festsaal der Akademie der Wissenschaften, ein Beethoven-„Rockkonzert“. Freilich untersagte die Baupolizei das Vorhaben.
Gleichwohl ist der experimentierfreudige Orchesterleiter mit seiner engagierten Truppe überzeugt, dass die Architektur das klangliche Resultat entscheidend verändert. „In diesen oft intimen Räumen wird einem die Kraft bewusst, mit der Beethoven die Musik in Formen gezwungen hat, aber auch der Verschleiß, den er vorgesehen hat.“In dem vergleichsweise kleinen Palais von Joseph Lobkowitz, wo die „Eroica“zum ersten Mal erklang und wo im Mai 2016 das ReSound-Projekt abgeschlossen wird, „müssen dem Publikum die Töne nur so um die Ohren geflogen sein“.
Haselböck und die Wiener Akademie, die zuletzt Franz Liszts Orchesterwerke, ohnehin Raritäten auf dem Konzertpodium, von falschem Bombast gereinigt und auf die Weimarer Wurzeln zurückgeführt haben, nehmen auch den Beethoven-Zyklus auf CD auf.
Auch wenn man da pragmatisch vorgeht und im Falle der 2. Symphonie die Hofburg durch das Palais Niederösterreich ersetzte: Die Dokumente der ersten beiden Symphonien klingen, auch aus der Größe der Besetzung heraus, frisch, knackig, lebendig, in Tempi und Dynamik, Artikulation und Rhetorik spielfreudig, aufgeweckt und transparent, im Klang flexibel und plastisch. Wirklich umstürzlerisch neu ist das vielleicht nicht, aber jederzeit so, dass man sich den Facetten der Beethoven’schen Klangrede mit intellektuellem Anspruch und gleichzeitig doch sinnlichem Erleben und einer gehörigen Portion Nervenkitzel hingeben kann. Warten wir ab, was uns auch auf den Hördokumenten die anderen „Räume“noch erzählen wollen.
CD:
„Kaum eine andere Musik der Klassik wird so viel gehört wie die Symphonien Beethovens.“