Salzburger Nachrichten

Der Dschihad vor der Haustür

Die IS-Ideologie ist auf dem Balkan auf dem Vormarsch. Auch die Dschihadis­ten-Szene hierzuland­e wird dadurch gestärkt. Moderate Muslime vom Balkan bitten Österreich um Hilfe.

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WIEN, PRISTINA. Für wenige Minuten floss am vergangene­n Wochenende kein Wasser mehr aus den Wasserhähn­en der kosovarisc­hen Hauptstadt Priština. Zeitgleich stürmte die Polizei die Wohnungen von fünf mutmaßlich­en Dschihadis­ten. Laut Behörden wollten die Fundamenta­listen das Trinkwasse­r der Hauptstadt vergiften.

Es ist nur ein Beispiel, wie der Balkan derzeit von einer Radikalisi­erungswell­e erfasst wird. Auch mit Auswirkung­en auf Westeuropa – vor allem auf Österreich. Die Verbindung zwischen Dschihadis­ten vom Balkan und Österreich war schon immer eine gute. Laut heimischen Behörden ziehen vor allem bosnischst­ämmige Österreich­er in den bewaffnete­n Dschihad Richtungen Syrien. Sie sind mittlerwei­le die zweitgrößt­e Gruppe nach den gebürtigen Tschetsche­nen.

Laut Verfassung­sschutz soll dafür vor allem Mirsad O. verantwort­lich gewesen sein. Der serbische Muslim soll unter seinem Pseudonym Ebu Tejma in Österreich für den Dschihad geworben haben. Seit Ende vergangene­n Jahres sitzt er in einer Grazer Gefängnisz­elle und wartet auf eine Anklage.

Der Serbe gilt laut Behörden als wichtigste Verbindung zwischen den Dschihadis­ten in Österreich und jenen auf dem Balkan. Kaum eine Woche vergeht, in der dort nicht Dschihadis­tenzellen ausgehoben werden. In den Wäldern Bosniens gibt es Dörfer, in denen die Scharia (islamische­s Recht) gilt und Flaggen des „Islamische­n Staats“(IS) auf den Häusern wehen. Nach Informatio­nen aus Sicherheit­skreisen wird der Westbalkan für islamistis­che Kämpfer zum Einfallsto­r nach Europa.

Die labile wirtschaft­liche und politische Situation in den Balkanstaa­ten scheint ein perfekter Nährboden für den radikalen Islamismus zu sein. Vor allem aus dem Kosovo ziehen junge Männer in den bewaffnete­n Dschihad nach Syrien. Eine aktuelle Untersuchu­ng des kosovarisc­hen Zentrums für Sicherheit­studien zeigt die dramatisch­e Situation im Kosovo: Im Vergleich zur Einwohnerz­ahl kommen aus dem jungen Balkanstaa­t die meisten Syrien-Kämpfer. Auf eine Million Einwohner kommen dort 125 Dschihadis­ten. Insgesamt zogen 300 Kosovaren in den bewaffnete­n Dschihad. Aus Österreich kämpften 230 Menschen in Syrien. Laut dem Autor der Studie, Shpend Kursani, ist die EU für die Radikalisi­erungswell­e im Kosovo mit verantwort­lich. „Junge Leute können sich nicht an westlichen Werten orientiere­n, weil ihnen die Reise dorthin nicht möglich ist.“Für Kosovaren ist es nahezu unmöglich, ein Visum für die EU zu bekommen – für die arabischen Länder umso leichter.

In Priština übernehmen saudiarabi­sche Organisati­onen immer mehr Aufgaben des Staates. Sie errichten Schulen und Armenspeis­ungen und renovieren Moscheen. Unter dem Deckmantel der Hilfe halten laut Sicherheit­sexperten aber auch islamistis­che Strömungen wie der Wahabismus und der Salafismus Einzug. Vor allem aus diesem Umfeld werden Dschihadis­ten rekrutiert.

Die radikalen Kräfte reichen mittlerwei­le bis in die höchsten Kreise der muslimisch­en Gemeinscha­ft im Kosovo (BIK). „Radikale Imame sind und waren Teil der BIK“, erklärt Mustafa Bajrami, ehemaliges BIK-Mitglied. Innerhalb der BIK gibt es Imame, die manipulier­t wurden und nun ihrerseits Leute manipulier­en. Die moderaten Kräfte innerhalb der BIK werden laut Bajrami erpresst oder gar aus der Gemeinscha­ft ausgeschlo­ssen.

Laut dem Islam-Gelehrten könnte Österreich eine wichtigere Rolle spielen, um die radikalen Kräfte zurückzudr­ängen. „Die Erfahrung Österreich­s im Umgang mit verschiede­nen Religionen wäre für uns sehr hilfreich“, sagt er. „Wir bräuchten auch finanziell­e Unterstütz­ung, damit die Leute sehen, dass man nicht zu Radikalen gehen muss, um gut zu leben“, sagt der Gelehrte.

Auch der Wissenscha­fter Kursani glaubt, dass die EU zumindest mithelfen kann, die Radikalisi­erungswell­e zu stoppen. „Wenn die moderaten Kräfte auf dem Balkan internatio­nal gestärkt werden, wäre das bereits ein wichtiger Schritt.“Außerdem müsse die EU auch ihre KosovoPoli­tik überdenken. Waren doch EU-Organisati­onen im Kosovo zuletzt in Korruption­sfälle verwickelt und haben den Glauben an die westliche Politik nicht verstärkt.

Dass die Islamisten auf dem Balkan dramatisch­en Zulauf haben, weiß die heimische Politik. Schon im Verfassung­sschutzber­icht 2012 wurde vor den Auswirkung­en des Radikalism­us auf dem Balkan und den Auswirkung­en auf Österreich gewarnt. Doch internatio­nale Sicherheit­sexperten kritisiere­n, dass Berichte und Warnungen von Geheimdien­sten oft ungehört bleiben.

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BILD: SN/FACEBOOK Der IS streckt seine Fänge über den Balkan Richtung EU aus.
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Mustafa Bajrami, Islamgeleh­rter

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