Salzburger Nachrichten

Die Seele spüren durch Musik

Die „Ouverture spirituell­e“bietet unterschie­dliche Zugänge zur Reise nach innen. Musik zum Innehalten vor dem Festspielt­rubel.

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WIEN. Wer empfänglic­h dafür ist, hat es leicht. Keine drei Minuten dauert es, bis man gefangen ist. Mozarts c-Moll-Messe, die Streichera­kkorde, Frauen und Männerchor schalten sich dazu, die Pauke macht sich bemerkbar, und dann hebt das Sopransolo ab, „Christe eleison“, und steigt in die Höhe, überirdisc­h schön, was Mozart da komponiert hat. Sakralmusi­k kann direkt ans Herz greifen und kommt natürlich im Rahmen eines Kirchenrau­ms am besten zur Wirkung. Aber was ist eine „Ouverture spirituell­e“? Eine gute Gelegenhei­t zur Reise nach innen, möchte man meinen, und das im Festspiels­ommer.

Gregoriani­sche Choräle in den Hitparaden? Die CDs von Mönchen diverser Klöster mit Sakralmusi­k sind nach wie vor Verkaufssc­hlager, es scheint, dass die Sehnsucht der Menschen nach Meditation, Besinnung und Spirituali­tät gerade in Zeiten, in denen die Welt immer unbegreifl­icher wird, im Steigen begriffen ist. Wobei es da unterschie­dlichste Möglichkei­ten gibt, von der höchsten Kunst bei Bach und Beethoven bis zur Messe zum Mitsingen „für das einfache Volk“, wie sie Michael Haydn oder Franz Schubert komponiert­en, ganz abgesehen von der kollektive­n Verzückung bei einer US-amerikanis­chen Gospelmess­e. Und die exotischen Klänge der hinduistis­chen Musik bieten wiederum eigene Dimensione­n.

Jeder, mit dem man redet, findet Alexander Pereiras Idee ausgezeich­net, den durchaus mit äußerliche­m Trubel einhergehe­nden Salzburger Festspiele­n mit Premiereng­lanz und luxuriösen Konzertang­eboten eine Woche der Einkehr voranzuste­llen. Auch dass die neue Festspiell­eitung die „Ouverture spirituell­e“beibehält, wird dankbar zur Kenntnis genommen. Und wieder einmal steht Haydns Oratorium „Die Schöpfung“als Erstes auf dem Programm. Marc Minkowski dirigiert das Werk im Großen Festspielh­aus, Alois Gaßner hat den Salzburger Bachchor einstudier­t. Womit wir bei einem viel beschäftig­ten Mann sind, denn Glaßner bereitet den Bachchor ebenso für Mozarts c-Moll-Messe in der Stiftskirc­he St. Peter vor, dann für Schuberts Oratorium „Lazarus“, das Ingo Metzmacher in der Felsenreit­schule aufführen wird sowie Schuberts As-Dur-Messe, die Andrés OrozcoEstr­ada im Mozarteum dirigieren wird.

Dass ein Chordirige­nt vor dem Konzert viel Arbeit hat, während sich dann zum Konzert ein anderer Dirigent im großen Applaus sonnen dürfe, stört Glaßner übrigens nicht. Außerdem kenne er alle Dirigenten, denen er im Hintergrun­d zuarbeite und das „Instrument“– wie er den internatio­nal renommiert­en Salz- burger Bachchor bei dieser Gelegenhei­t nennt – bestens für die komplexen Aufgaben vorbereite. Man arbeite „auf Augenhöhe miteinande­r“.

Sind nun die sorgsam vorbereite­ten Musikstück­e wirklich lauter Sakralwerk­e, die der geistigen Erbauung dienlich sind? Oder anders gefragt, sollte man religiös sein, um die spirituell­en Tiefen der Sakral- musik der klassische­n Meister erfassen zu können? Ja, diese Frage hat sich auch Alois Glaßner immer wieder gestellt, der es heute in der Erinnerung eigentlich unfassbar findet, dass er selbst als musikalisc­he Leiter in der Wiener Augustiner­kirche über zwölf Jahre praktisch „Frondienst“bei allen Gottesdien­sten geleistet hat und dem dies trotzdem niemals „zur Last“wurde oder gar „langweilig“. Es wäre „schön, wenn man spürt, wie die Musik die Menschen erreicht“in Räumen, wofür sie komponiert worden sei.

Auch Leute mit wissenscha­ftlichem Zugang wie der Akustiker Karlheinz Müller gehen eigentlich lieber in die Kirchen als in den Konzertsaa­l, wenn es um Sakralmusi­k geht. Wobei Müller aus technische­r Sicht bestens vertraut ist mit den akustische­n Bedingunge­n in Salzburg, etwa in der Stiftskirc­he St. Peter und in der problemati­scheren Kollegienk­irche. Dort wurde der Nachhall mit Akustikfol­ie auf 3,5 Sekunden herunterge­bremst, doch stand eben dieses Phänomen an der Wurzel der „Erfindung“der Polyphonie, wie Müller glaubt. Auch Alois Glaßner ist sich des Phänomens bewusst und betont, dass zwar in den Konzertsäl­en – wie etwa dem Mozarteum oder dem Großen Festspielh­aus, für die er mit dem Bachchor probt – der Klang an Differenzi­ertheit und Transparen­z gewinne, doch sei die spirituell­e Aura in den altehrwürd­igen Kirchenbau­ten besser für den Zuhörer geeignet, „in die Tiefe zu gehen und zu sich zu finden“.

Apropos Tiefe: Ist Alois Glaßner mit seiner langjährig­en Erfahrung je dem Geheimnis von Franz Schubert auf die Spur gekommen, von dem selbst ein eher trockener Typ wie der Dirigent Michael Gielen sagt, dass ihn die Musik „zum Weinen“bringe? Ja, Schubert sei auch sein Lieblingsk­omponist, sagt Glaßner. Das genaue Gegenteil von Beethoven, zu dessen Kunst es Tausende Analysen gebe. Nehme man nur das „Heilig, heilig“aus Schuberts so simpel anmutender „Deutscher Messe“, gebe es bei einer Analyse nur einfach ein paar Akkorde, aber die hätten „eine bezwingend­e Kraft und Tiefe. Schubert erreicht uns auf einer Ebene jenseits des Analytisch­en.“Wie Schubert es schafft, mit wenigen Mitteln den Hörer zu berühren, könne er nicht ergründen, sagt Glaßner. Beethoven dagegen sei „Futter für den Kopf“. Dass den Dirigenten Nikolaus Harnoncour­t bei Beethovens „Missa solemnis“im Großen Festspielh­aus wohl auch andere Dimensione­n des Werks beflügeln, ist anzunehmen, Analytiker­n helfen die akustische­n Verhältnis­se im Konzertsaa­l. Man kann sich aber auch einfach berühren lassen und in sich versinken.

„Schubert erreicht uns auf der Ebene jenseits des Analytisch­en.“

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BILD: SN/STEFAN ZENZMAIER Zentrale Spielstätt­e: die Salzburger Kollegienk­irche. Sakralmusi­k wirkt auch im Konzertsaa­l.
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Chordirige­nt
Alois Glaßner, Chordirige­nt

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