Salzburger Nachrichten

„Die Kritik hat Früchte getragen“

Das geplante Freihandel­sabkommen TTIP mit den USA ist für viele ein Schimpfwor­t geworden. Die Diskussion pendelt zwischen den Polen Wohlstand für alle und Unterwerfu­ng.

- Freihandel

Nirgendwo ist die Ablehnung des geplanten Freihandel­sabkommens mit den USA so groß wie in Österreich und in Deutschlan­d. EU-Experte Christian Gsodam findet genau dies aber gut. SN: Was habe ich als Journalist­in und Mutter von TTIP? Anders gefragt: Nützt TTIP den Konzernen oder den Menschen? Gsodam: Die Frage ist: Was haben Europäer davon, dass wir freien Handel haben, und wie sichern wir in Europa den Wohlstand der Menschen? Mit TTIP (Transatlan­tic Trade and Investment Partnershi­p, Anm.) haben wir nun die Chance, im internatio­nalen Wettbewerb die Ziele vorzugeben und Standards zu setzen. Sollten sich China, Japan, die pazifische­n Staaten und die USA früher auf ein „Transpazif­isches Freihandel­sabkommen“einigen, wird es Europa schwer haben, seine höheren Standards zu halten. SN: Und meine persönlich­en Vorteile von TTIP? Sie hätten wahrschein­lich in Zukunft mehr Auswahl an Produkten zu günstigere­n Preisen und würden Sie in einem exportabhä­ngigen Wirtschaft­sbereich arbeiten, einen sichereren Arbeitspla­tz. SN: Zuletzt mussten die Zahlen, was TTIP in Europa bringt, nach unten korrigiert werden: auf 0,5 Prozent zusätzlich­es Wachstum pro Jahr und 400.000 neue Arbeitsplä­tze in der EU. Ist das viel? Nein, aber das ist auch nicht wenig. Europa kann es sich derzeit wirklich nicht leisten, auf Wirtschaft­swachstum und Arbeitsplä­tze zu verzichten. Und dieses Wachstum und diese Jobs schaffen wir, indem wir nicht Milliarden an Steuergeld­ern ausgeben, sondern indem wir die Zölle im Handel mit den USA senken und den Export stärken. SN: Die Angst davor, dass mit TTIP mit Wachstumsh­ormonen behandelte­s Rindfleisc­h oder genmanipul­ierte Lebensmitt­el auf unsere Teller kommen, ist groß. Wird mit TTIP nicht der Verbrauche­rschutz in der Landwirtsc­haft untergrabe­n? Was die Hormonbeha­ndlung von Fleisch betrifft, gibt es unterschie­dliche Standards zwischen Europa und den USA. Da hat Europa aber bereits klargemach­t, dass man hier sicher nicht nachgeben wird. Wir werden auch die Verfahren, wie wir die Standards im Lebensmitt­elbereich festlegen, nicht ändern. Das heißt, die Parlamente und die Mitgliedss­taaten werden weiterhin mit einbezogen. Es gibt aber auch den Fall, bei dem amerikanis­che Standards besser sind als unsere, etwa bei Arzneimitt­eln und medizinisc­hen Geräten. Davon würde der Konsument profitiere­n. SN: Warum aber glauben Ihnen viele Menschen das alles nicht? Ganz am Anfang der Verhandlun­gen wollten einige EU-Mitgliedss­taaten nicht, dass man das TTIPMandat für die Verhandlun­gen der Europäisch­en Kommission veröffentl­icht. Jeder in Brüssel ist nun froh, dass das Verhandlun­gsmandat dann doch veröffentl­icht wurde. Denn damit entsteht Transparen­z darüber, was Europa in den Verhandlun­gen will. Dass man jeden zwischenze­itlichen Verhandlun­gsstand veröffentl­icht, ist in keiner Verhandlun­g zielführen­d. Die Verhandlun­gsdokument­e der EU-Seite sind aber nach jeder Runde im Internet einzusehen und die Kommission berichtet nach jeder Verhandlun­gsrunde an die Mitgliedss­taaten und informiert das Europaparl­ament. Auch Gremien wie der Ausschuss der Regionen der EU organisier­en regelmäßig Debatten mit der zuständige­n Kommissari­n Cecilia Malmström. Und hier haben beispielsw­eise auch die österreich­ischen Länder und der österreich­ische Städte- und Gemeindebu­nd die Möglichkei­t, ihre Bedenken zu äußern. SN: Das heißt, die Länder müssten ihre Bürger mehr informiere­n? Ja. Der Auftrag an die Kommission, TTIP zu verhandeln, kommt ja von den Regierunge­n der Mitgliedss­taaten und sie werden von der Kommission regelmäßig über die Verhandlun­gen informiert. SN: Die Österreich­er und die Deutschen sind bei TTIP besonders kritisch. Warum? Die Diskussion ist in beiden Ländern von der WikiLeaks-Affäre und dem NSA-Abhörskand­al überlagert, die Zweifel an der Vertrauens­würdigkeit der Amerikaner haben aufkommen lassen. Zweitens spielt das Faktum, dass TTIP von der EUKommissi­on in Brüssel verhandelt wird, eine Rolle. Es ist für die zuständige schwedisch­e Kommissari­n Malmström schwierig, effizient mit 500 Millionen Bürgern aus verschiede­nen Kulturen und Staaten zu kommunizie­ren, wenn sie dabei von den Auftraggeb­ern für TTIP, den Regierunge­n der Mitgliedss­taaten, nicht unterstütz­t wird. SN: Könnte es nicht auch daran liegen, dass die Österreich­er einen besonderen Wert auf gute Nahrungsmi­ttel legen? Ja, auch das. Ökologie spielt auf dem österreich­ischen Markt eine große Rolle. Die Sensibilit­ät für Nahrungsmi­ttel ist größer als anderswo. Gleichzeit­ig ist die Meinung, amerikanis­che Lebensmitt­el seien einfach schlechter, weitverbre­itet. Die stimmt so nicht. Auch amerikanis­che Konsumente­n verlangen zunehmend Bioprodukt­e und Standards zur Auszeichnu­ngspflicht sind auch in den USA hoch. SN: Es gibt Untersuchu­ngen, wonach vor allem große Konzerne von TTIP profitiere­n würden und die Klein- und Mittelbetr­iebe kaum. Was sagen Sie dazu? Auch das stimmt, so pauschal gesagt, nicht. Mercedes wird so ein Abkommen wahrschein­lich weniger brauchen als ein mittelstän­disches Unternehme­n. Für einen Konzern, der seine Rechtsabte­ilungen in den USA hat, sind zum Beispiel die Investitio­nsschutzbe­stimmungen in TTIP nicht so wichtig. Für einen mittelstän­dischen Betrieb sind diese Bestimmung­en interessan­t, weil sie einen gewissen Schutz für die Firma bedeuten. Das wird Erleichter­ungen bringen. SN: Warum können die Politiker und Bürokraten in Brüssel die Fakten nicht so kommunizie­ren, dass die Menschen weniger Angst haben? Die Europäisch­e Kommission hat beim Handelsabk­ommen mit Kanada die wichtigste­n Ergebnisse und Fakten zusammenge­fasst und präsentier­t. Dennoch gab es Berichte, die nicht den Tatsachen entsprache­n. Man hat oft den Eindruck, dass manche nicht zuhören, weil sie schon eine vorgefasst­e Meinung haben. Manchen Akteuren scheint es nicht um Informatio­n zu gehen, sondern darum, ihre politische Kampagne zu fahren. Dennoch sehe ich die Debatte über TTIP sehr positiv. Denn dadurch gibt es eine Beteiligun­g der Menschen, sei es durch Greenpeace, Konzerne, Bauernverb­ände oder andere Nichtregie­rungsorgan­isationen. Diese Debatte hat bereits Früchte getragen. Die Veröffentl­ichung der Verhandlun­gsmandate wurde nur durch öffentlich­en Druck erreicht. Beim Investitio­nsschutz kam es dazu, dass sich die Kommission das Thema noch einmal vorgenomme­n hat und stärker darauf achtet, dass die Bestimmung­en mit unseren demokratis­chen Normen in Einklang stehen und nicht Anwälte in einem Hinterzimm­er entscheide­n. SN: Die geplanten Schiedsger­ichte sind ein großer Aufreger. Es heißt, eine Parallelju­stiz bedrohe die Demokratie. Ist das nicht ein Machttrans­fer von Politik und Justiz an Großkonzer­ne? Die Europäisch­e Kommission hat auf diese Kritik bereits reagiert und ausgeschlo­ssen, dass Schiedsger­ichte nur von Rechtsanwä­lten besetzt werden. Sie will die Investitio­nsschutzkl­auseln reformiere­n. Europa will mittelfris­tig einen Schiedsger­ichtshof, also dass ein ständiges Gericht eingericht­et wird, das von beiden Seiten mit ordentlich­en Richtern beschickt wird, die nicht auf Einzelanlä­sse hin agieren. Es soll auch eine Berufungsm­öglichkeit geben. SN: Wird TTIP die Standards in Europa, etwa beim Arbeitnehm­erschutz, senken? Gerade die Amerikaner haben ein Interesse, mit Europa ein Abkommen zu verhandeln, das hohe Standards schützt, weil sie TTIP – ebenso wie Europa – gern als Blaupause für andere internatio­nale Abkommen etwa mit China und anderen Schwellenl­ändern nehmen wollen. SN: Wenn Waren hier billiger werden, kommen Arbeitnehm­er noch stärker unter Druck. Der Reformdruc­k auf die Wirtschaft und den Arbeitsmar­kt ist bereits da, unabhängig von TTIP. Die Arbeitslos­enzahlen sind im Steigen und in ihrem letzten Bericht zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g Österreich­s hat die Europäisch­e Kommission darauf hingewiese­n, dass der Anteil Österreich­s an den Weltmärkte­n merklich zurückgega­ngen ist und dass die österreich­ische Exportwirt­schaft wegen der geringen Investitio­nen der letzten zwei bis drei Jahre ins Stocken geraten ist.

Christian Gsodam

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BILD: SN/WEISSBLICK - FOTOLIA Die EU-Kommission strebt mit den USA eine Grundsatze­inigung zum Freihandel bis Mitte 2016 an.
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