Wahre Schönheit und schöne Ware
Hüttenzauber war einmal. Heute zieht es den Gast in Lodges mit 3D-Flatscreens.
Es war einmal eine Zeit, da war eine Hütte eine Hütte und ein Dachboden ein Dachboden. Heute kann im Tiroler Oberland ein Dachboden durchaus ein Loft sein und eine Hütte eine Lodge. Unter Umständen kann sie sogar ein Chalet sein. Vor so einem steht nämlich gerade Reinhard Binder mit seiner Frau Christina Binder-Egger. Insgesamt verfügt das Ehepaar über vier funkelnagelneue Chalets. Wie Vogelnester schmiegen sie sich auf 1054 Meter Seehöhe an den Hang. Das Ensemble wurde auf den Namen „Hochleger“getauft. Es duftet nach frischem Holz. Für Reinhard Binder greift diese Beschreibung freilich zu kurz. „Ich würde sagen, das ist mondäne Wohnkultur mit alpiner Note“, sagt er. Dann referiert er über „mondgeschlagene Hölzer“wie Zirbe, Lärche und Tanne. Die Tanne sei sowieso total unterschätzt, fährt er fort.
Hauptberuflich leitet Binder seine Binder Holz GmbH. Derzeit hat er zwei Baustellen in London am Laufen. Für das Architekturbüro Hawkins/Brown lieferte er 1400 Meter Brettsperrholz. Die Engländer machen daraus ein zehngeschoßiges Wohnhaus in Holz-StahlHybridbauweise. Für ein weiteres Projekt in London-Dalston lieferte er 4500 Meter Brettsperrholz. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf drei Millionen Euro. Von der Großstadthektik Londons ist hier oben im Zillertal freilich nicht viel zu spüren. Nur der Audi R8 vor einem der Chalets macht deutlich, dass man hier oben den Wert heute mehr denn je als Ware verstanden haben will. Pro Nacht müsse man für ein Chalet – je nach Ausführung – 750 bis 1000 Euro hinblättern.
Nach dem Betreten der Luxusrefugien sieht man schon auf den ersten Blick, was man für sein Geld bekommt. Die Einrichtung verfügt über hochwertige und stilsicher ausgesuchte Antiquitäten, topmoderne Designermöbel, offene Kamine in Wohnzimmern, freistehende Badewannen in Badezimmern und 3D-Flatscreens mit Sky-TV sowieso. Die Wahrscheinlichkeit, dass Urlauber in diesem zum Müßiggang animierenden Ambiente von schweißtreibenden Wanderungen in Tiroler Bergluft träumen, dürfte gegen null gehen. Ähnlich abgehoben geht es dann weiter unten in den Lodges der Familie Binder direkt am Golfplatz zu. Dort sind in diesen Tagen auch hin und wieder Verantwortliche des deutschen Bundesliga-Vereins SV Werder Bremen gesichtet worden. Das Team ist im Stammhaus der Familie Binder in Zell am Ziller untergebracht: im Posthotel.
Während bei den Chalets im Winter die perfekte Pistenanbindung unter dem Motto „Ski in – Ski out“angeboten wird, lockt bei den Lodges der Golfplatz, der nur einen Steinwurf entfernt ist. Das Posthotel wiederum verfügt über eine perfekte Schienenanbindung. Die Gleise befinden sich unmittelbar neben dem Hotel. Was aber egal ist. Im Zillertal verkehren nur noch selten Züge. Das Posthotel selbst gibt es schon seit 1860. Nach einem Totalumbau ist es heute ein bis ins kleinste Detail gestyltes Wellnesshotel. Verantwortlich dafür ist
„Auch alpine Hütten dürfen mondän sein.“
der Münchner Consulter Florian Schaible. Er kümmert sich um das Erscheinungsbild und um die zu bearbeitenden Märkte. Vor allem aber hat er als ehemaliger Direktor eines Fünfsternehotels exzellente Kontakte. Er wusste auch, dass es besser ist, für eine Eröffnungsfeier einen DJ namens „Munich“zu engagieren als die örtliche Trachtenmusikkapelle. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Michael Berger, der aber eher als Sohn von Udo Jürgens gebucht wird – was den Weg seiner Auftraggeber in die Societymagazine ebnet.
Dass sich das Team von Werder Bremen in das Posthotel verschaut hat, davon profitiert in diesen Tagen übrigens das gesamte Zillertal. Flugs wurden Angebote für Fans geschnürt, die den Kickern beim Training zuschauen wollen. Diese Angebote umfassen Unterkünfte aller Kategorien, freien Eintritt zu den Testspielen, einen „BergfestGrillabend“sowie einen „Talk in der Aula der Musikmittelschule“.
Christina Binder-Egger überlegt bereits, einige Gerichte der Profifußballer in die Speisekarte ihres Gourmetrestaurants HeLeni zu übernehmen. So in der Art: „Spaghetti à la Junuzovic“oder „Steak à la Di Santo“.
Reinhard Binder indes sinniert 25 Jahre nach der Erstausstrahlung der „Piefke-Saga“über die verloren gegangene Ästhetik vieler alpiner Tourismuszentren. Zur wahren Blüte sei die alpine Architektur ja in den Jahren 1880 bis etwa 1920 gebracht worden. „Da die Hotels damals von sehr guten Architekten geplant wurden“, erklärt er. So richtig schlimm sei es dann ab den 1960er-Jahren bis in die 1990er-Jahre geworden. „Damals hat man sich die Architekten gespart und stattdessen auf billige Baumeister gesetzt. Das Ergebnis sehen sie heute in fast allen Tourismusorten.“
Schön langsam wird klar, dass es Binder um mehr geht als um seine Häuser. Seine Projekte sollen ein Denkanstoß sein, damit seine Region ihre naturbelassene Schönheit zurückerhält. Vor allem die Ignoranz staatlicher Stellen sei oft ein Ärgernis für ihn. „Die bauen immer noch Kindergärten und Schulen aus Beton“, schimpft er. Dabei sei längst bewiesen, dass die Konzentration in einem Betonbau nach zwei Stunden nachlasse. Dann schaut er noch einmal Richtung „Hochleger“hinauf und fragt: „Wissen Sie, warum es hier so ruhig ist?“„Nein.“„Weil wahre Schönheit sprachlos macht.“