Das Ende der Welt
KAP HOORN
Wenn Hühner das Fliegen lernen, dann ist Sturm. Heftiger Sturm. Am Kap Hoorn, dem südlichsten permanent bewohnten Ort der Erde, lebt ein Mann, der das Ende der Welt bewacht. Einmal hat er die Hühner nicht rechtzeitig in den Stall geholt und der Orkan hat sie einfach weggeblasen, irgendwo hinaus in den Atlantik oder Pazifik. Seitdem gibt’s keine Hühner mehr am Kap, der Schnittstelle der beiden großen Weltmeere – und auch keine Frühstückseier.
Sergeant Manuel Canepa verkörpert die letzte Bastion Chiles vor dem ewigen Eis, ist der Herr zweier lebenswichtiger Leuchttürme für die Seefahrt und vermisst nicht nur die Frühstückseier, sondern auch Obst und Gemüse, jedoch nur manchmal seine Freiheit. Obwohl die Insel wie ein Gefängnis ist für ein langes Jahr, für das er sich verpflichten musste – wie alle anderen vor und nach ihm auch.
Schon die Seereise zum Mann am Ende der Welt ist ein Abenteuer. Herman Melvilles und Jules Vernes Erzählungen sind natürlich im Gepäck. Und dann geht’s los, von Punta Arenas durch die Magellanstraße, die Allee der Gletscher, den Beagle-Kanal und hinaus ins offene Meer. Das Wetter ist gut. Sehr gut sogar. Heute könnten die Hühner furchtlos gackern und picken. Aber Jaime Iturra, der Kapitän der „Stella Australis“, gibt kein Versprechen ab. Ob ein Landgang an Kap Hoorn möglich ist oder nicht, wird kurzfristig und ausschließlich vor Ort entschieden. Denn das Wetter am Kap kann sehr schnell umschlagen. „Aber wir haben Glück“, sagt der Kapitän beim letzten Peilen
Am besten mit der Latam Airlines Group, mit Lan über Santiago bis Punta Arenas und mit Tam ab Ushuaia über Buenos Aires zurück nach Wien (ca. 900 Euro),
Cruceros Australis fährt zum Kap Hoorn (3 bis 7 Tage), der Lage. Es herrscht Schweinswalwetter an der Isla Hornos. So sagen die Holsteiner, wenn die See so glatt ist wie ein Babypopo. Der „Stella Australis“-Kapitän meint, so ruhig sei die See hier höchstens ein Mal im Jahr. Zwar drücken tiefe, dunkelgraue Regenwolken aufs salzwasserfeste Gras, doch es fällt kein Tropfen. Die Landgänger werden nicht einmal nass bei der Zodiac-Fahrt zum Kap! Und nach 167 Stufen steht Manuel Canepa zum Empfang bereit: 40 Jahre alt, in Paradeuniform gekleidet, fester Händedruck.
Manuel bittet gleich ins Haus – trotz des guten Kap-Wetters bei fünf Grad Außentemperatur und immer noch ohne Regen. Fragen prasseln auf ihn nieder: Was macht man hier draußen? Und warum kommt man überhaupt hierher? Der Sergeant nimmt in Ruhe seine Offiziersmütze ab. Im Hintergrund lächelt Chiles Präsidentin Michelle Bachelet von der Wand. „Ich habe mich beworben für die Stelle. Keiner wird gezwungen, hier Dienst zu tun!“Die zehn Prozent Sold, die es auf diesem Außenposten mehr gibt und die Nebeneinkünfte durch den Verkauf von Postkarten mit dem begehrten Kap-Hoorn-Stempel an Kreuzfahrer – so sie denn anlanden können – seien nicht der ausschlaggebende Grund für die Bewerbung gewesen. „Ich wollte diese Erfahrung hier draußen machen. Und meine Frau wollte es auch. Sie ist die Inselkönigin!“Und Mutter der zweijährigen Stella sowie in Personalunion auch Lehrerin des 14-jährigen Xavier für ein Jahr. Und was ist mit der Einsamkeit? Verwandte und Freunde dürfen zwar auf die Insel kommen, aber die Anreise ist zeitaufwendig, teuer und vor allem: Niemand weiß, ob bei der Ankunft auch wirklich das Anlanden möglich ist.
Manuel selbst darf das Kap nicht verlassen, ausgenommen im Notfall wie einer akuten Krankheit. Mit seiner Familie lebt er in einem kleinen Häuschen am alten Leuchtturm. Nebenan steht eine Kapelle. „Wir leben hier in der Zivilisation mit Fernsehen und Fußball, Radio und Musik sowie Internet für den Filius!“Alle zwei Monate liefert ein Versorgungsschiff Proviant. Dann gibt’s auch für ein paar Tage Obst und Eier. Angst habe er keine, auch wenn der Wind pfeife und peitschende Regentropfen spitz wie Nadeln sein könnten.
Kap Hoorn ist ja ein Mythos . . . Manuel unterbricht: „Nein, Kap Hoorn ist der größte Schiffsfriedhof der Welt.“Deshalb hält er permanent Funkkontakt zu den Riesenschiffen da draußen, denen der Panamakanal zu klein ist. „Heute ist das Wetter herrlich. Aber Wissenschafter haben hier schon 265 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit gemessen.“Das entspricht einem Hurrikan der Höchststufe 5, Kennzeichnung: „verheerend“. Er selbst habe nur 220 Stundenkilometer erlebt, was der Stufe 4 entspricht, Kennzeichnung: „sehr stark“. Nicht nur zu stark für freilaufende Hühner, sondern auch für den symbolischen Albatros, einer Skulptur, die nur noch einen Flügel hat: „Kürzlich hat es unser Denkmal für die umgekommenen Seefahrer halb weggeblasen. 800 Schiffe sind hier gesunken, 10.000 Menschen ums Leben gekommen.“
Manuel deutet auf einer Karte auf den Panamakanal: Erst mit dessen Fertigstellung im Jahre 1914 entschärfte sich die Situation. Zuvor war der tückische Weg um Kap Hoorn mit unberechenbaren Strömungen, heftigen Orkanen und haushohen Wellen die einzige befahrbare Route zur Umschiffung des amerikanischen Kontinents. „Und an dieser Stelle Dienst zu tun ist Ehre, Verantwortung und Herausforderung zugleich“. Ob mit Hühnern oder ohne Hühner und Frühstückseier . . .
Anreise: Kreuzfahrt: Chile- I nfo: