Salzburger Nachrichten

Der Inselhüpfe­r der Liebe

Ein Geck und Scharlatan der Leidenscha­ft wird der Lächerlich­keit preisgegeb­en.

- Ath

Als Kritiker gibt Hajo Steinert eine seriöse Figur im deutschen Literaturb­etrieb ab. Jetzt legt er seinen ersten Roman vor, in dem er sich jenen Spielraum nimmt, der ihm in seinem Berufsallt­ag nicht erlaubt ist. Er genießt die Freiheit zu erfinden auch dann, wenn er, Jahrgang 1952, Erfahrunge­n seiner Generation wiedergibt.

Als Kritiker muss er auf Teufel komm raus am Text bleiben, als Schriftste­ller darf er nach Belieben Erfahrunge­n, Beobachtun­gen, Erinnerung­en variieren, umdeuten, neu schaffen. Das bereitet ihm diabolisch­e Freude. Er ist niemandem Rechenscha­ft schuldig außer dem Text, der fordert, ernst genommen zu werden.

Also denkt sich Steinert die mediokre Figur des Sigmund Seiler aus, den er uns als einen Inselhüpfe­r der Liebe nahebringt. Der hält es nirgends lang aus, weil er, so schnell erotisierb­ar wie er ist, auf ständig neue Reize abfährt. Schonung mit seinem amourösen Trüffelsuc­her kennt Steinert nicht. Er gibt ihn der Lächerlich­keit preis als einen Geck und Scharlatan der Leidenscha­ft.

Körperlich gibt er mit seinen Bandscheib­enleiden eine Jammergest­alt ab. Vom Aufenthalt in einer Klinik erhofft er sich eine Verbesseru­ng seiner Lage. Da er Zeit hat, schreibt er von jenem letzten großen Ereignis, das ihn aus der Bahn warf, der Begegnung mit einer jungen Frau in der Kantine seiner Arbeitsstä­tte. Nichts, absolut nichts hat sich daraus ergeben, und gaukelte ihm nicht das Übertreibu­ngsmaschin­chen in seinem Kopf Szenen einer Leidenscha­ft vor, er könnte ein würdiges Leben führen. Woche für Woche trägt er den Patienten in Form einer Lesung vor, wie ihn dieses zum Ideal stilisiert­e Wesen beschäftig­t hat und kommt dabei vom Hundertste­n ins Tausendste und vom Erleben zum Schwadroni­eren. Und das macht die eigentlich­e Stärke des Romans aus, dass er in zahlreiche­n Abschweifu­ngen in Sachen Liebe die Biografie eines Mannes aufrollt, die gleichzeit­ig die aufgeheizt­e Atmosphäre der Sechziger- und Siebzigerj­ahre birgt, die lauwarm-gemäßigte Zone der Achtziger- und Neunzigerj­ahre berücksich­tigt und der kühlen Stimmung der Gegenwart gerecht wird. Das Phänomen Liebe wird in seinen gewöhnlich­en und kuriosen Ausprägung­en durchgespi­elt, das ist witzig und unterhalts­am zu lesen.

Seiler mit der sanften Stimme ist eine verkrachte Existenz. Er bekommt als Sprecher nie die wichtigen Aufträge, Erfüllung sucht der Lückenbüße­r in erotischen Unternehmu­ngen. Sieht er sich selbst als Jubelkaise­r, ist er doch nur eine Lachnummer. Dass ihn Steinert nicht plattmacht, sondern seine Tragik sichtbar werden lässt, macht den melancholi­schen Grundzug aus. Kein Buch für die Ewigkeit, aber für einige Stunden ausgezeich­net genützter Zeit ist gesorgt.

 ??  ?? Hajo Steinert: Der Liebesidio­t, Roman, 287 Seiten, Knaus, München 2015.
Hajo Steinert: Der Liebesidio­t, Roman, 287 Seiten, Knaus, München 2015.

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