Beethoven empfiehlt: „Sei betriebsam, erfülle deine Pflicht“
Was große Europäer an indischer Spiritualität beeindruckt hat, leitet in die „Ouverture spirituelle“ein.
SALZBURG. Die Aufforderung zum Denken, Lesen und Disputieren stand am Beginn der „Ouverture spirituelle“der Salzburger Festspiele. Noch bevor Joseph Haydns „Schöpfung“erklang, stand das Wort: Direktoriumsmitglied SvenEric Bechtolf las bei einem Festakt im Karl-Böhm-Saal am Samstagnachmittag aus Texten großer Europäer vor, die sich von indischer Spiritualität haben begeistern lassen.
„Selig ist, wer alle Leidenschaften unterdrückt hat und dann mit reiner Tatkraft alle Angelegenheiten des Lebens, unbesorgt um den Erfolg, verrichtet“, notierte Ludwig van Beethoven in sein Tagebuch das, was ihn im Rigveda, einer Sammlung hinduistischer Hymnen, beeindruckt hatte. Oder: „Lass dein Leben nicht in Untätigkeit vorübergehen. Sei betriebsam, erfülle deine Pflicht, verbanne alle Gedanken an die Folge und den Ausgang, er möge gut oder übel sein, denn solche Gleichmütigkeit heißt Aufmerksamkeit auf das Geistige.“
An den Beginn der mit Sitarimprovisationen von Klaus Falschlunger begleiteten „Literarischen Annäherungen“hatte Sven-Eric Bechtolf einen Text Stefan Zweigs gesetzt, der 1908 nach Indien gereist war und seine Eindrücke in der Autobiografie „Die Welt von gestern“festgehalten hatte. Das Elend und die ausgemergelten Gestalten in Indien hätten ihn erschrocken, gestand Stefan Zweig. Auch verabscheue er die Schichtung in Klassen und Rassen, diese unsichtbare, aber nicht minder grausame gesellschaftliche Ächtung. Bereits auf dem Schiff nach Indien habe er diese „Pest des Rassenreinheitswahns“wahrnehmen müssen. Indien habe sein „Innenmaß“verändert, erläu- terte Stefan Zweig. Und er habe erkannt: dass „unser Europa längst nicht mehr als die ewige Achse unseres Weltalls“zu betrachten sei.
Dann rezitierte Sven-Eric Bechtolf aus einem Text des Indologen Heinrich Zimmer, Ehemann von Hugo von Hofmannsthals Tochter Christiane: Mythen seien wie Träume, die man immer wieder betrachte und mit denen man wie mit ei- nem Geist lebe. Die Mythen Indiens seien wie „Gesichter, die unsere eigene Schicksalstiefe spiegeln“.
Sven-Eric Bechtolf las dann aus Hermann Hesses Aufzeichnungen „Aus Indien“, leitete über zu Friedrich Nietzsches „Morgenröte“und weiter zu Ludwig van Beethoven. Er endete mit Versen aus dem indischen Schöpfungslied: „Damals war nicht das Nichtsein noch das Sein“; am Anfang habe es weder Luftraum noch Himmel, weder Abgrund noch Meer, weder Tod noch Sterbliches gegeben. „Es hauchte windlos in Ursprünglichkeit das eine.“
Die Fragen nach dem Ursprung, nach Woher und Wohin, seien Antrieb für die „Disputationes“, sagte Erhard Busek als Präsident des Herbert-Batliner-Europainstituts. Dieses veranstaltet zum dritten Mal dieses Symposium, das die „Ouverture spirituelle“begleitet. Es dauert bis Mittwoch und widmet sich heuer der indischen Spiritualität.
Die Redewendung „Wir leben im Zeitalter der Globalisierung“müsse mit Leben erfüllt werden, forderte Erhard Busek. Dazu gehöre, über das andere etwas zu wissen, aber auch, es gefühlsmäßig zu erfassen. Oft wüssten wir Argumente für Aggression und Ablehnung viel früher als die Inhalte der Gegenseite.
Ähnlich warnte Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele: Oft würden Konflikte ausgetragen, bevor die Gegensätze geklärt seien; dies sei in der Ukraine wie in religiösen Konflikten zu beobachten. Die „Disputationes“bezeichnete sie als „willkommene Vertiefung unseres Programms“.