Salzburger Nachrichten

Chinas Börse taumelt

Nach dem Absturz Anfang Juli rumpelten die Kurse erneut nach unten. Die kommunisti­sche Führung in Peking zeigt sich machtlos.

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Nach einer ruhigeren Woche geht es am chinesisch­en Aktienmark­t wieder stürmisch zu. Am Montag fiel der führende Index Shanghai Composite um beachtlich­e 8,5 Prozent. „Die Sorgen um China sind zurück“, kommentier­en Analysten des Bankhauses Barclays Capital. Für Peking geht es nun auch darum, das Gesicht zu wahren: Die KP-Führung hat eine Weiterentw­icklung des Aktienmark­ts zu einem wichtigen Finanzieru­ngsinstrum­ent für die Wirtschaft angekündig­t. Zugleich soll die Börse als Anlagemögl­ichkeit für die hohen Ersparniss­e der Chinesen einen besseren Ruf erhalten. Die Finanzaufs­icht hat die Kurse daher Anfang des Monats durch allerlei Tricks wieder hochgetrie­ben, nachdem sie erstmals abgestürzt waren.

Die Regierung war es auch gewesen, die eine Rallye ausgelöst hat, nachdem die Staatsführ­ung das Volk zu Investitio­nen am Markt ermutigt hatte. Die Anleger sind der Aufforderu­ng begeistert gefolgt. Die Kurse waren in den zwölf Monaten bis Juni um 140 Prozent gestiegen. Seitdem sind sie jedoch wieder um 30 Prozent gefallen: Nach dem heftigen Anstieg wollten Investoren nun Gewinne mitnehmen. Zudem stieg das Misstrauen gegenüber ei- nem Markt, der ausgerechn­et in Zeiten mäßiger Firmengewi­nne durch die Decke geht. Am Montagvorm­ittag gab es in dieser angespannt­en Lage kein Halten mehr, nachdem der Index auf dem Weg nach unten die Marke von 4000 Punkten gestreift hat. Viele Anleger hatten diese runde Summe als Grenze für automatisc­he Verlustbeg­renzungen in ihrem Onlinedepo­t eingestell­t. Die Börsencomp­uter mussten innerhalb von Minuten eine Flut von Verkaufsau­fträgen be- Finn Mayer-Kuckuk berichtet für die SN aus China wältigen. Doch auch die sogenannte­n Stop-Loss-Orders konnten nur der Reihe nach abgearbeit­et werden – mangels Käufern erfolgten die meisten Transaktio­nen im Bereich von 3800 oder 3700 Zählern. Am Abend stand der Shanghai Composite bei 3726 Punkten. So heftig war der chinesisch­e Aktienmark­t seit dem Platzen einer Blase im Jahr 2007 nicht mehr zurückgega­ngen.

Analysten erwarten nun gespannt die Reaktion der Regierung. Es hatte bereits viel Kraft und Überzeugun­gsarbeit gekostet, den Markt nach dem Absturz Anfang Juli wieder aufzupolst­ern. Mehr als 20 Anlagefirm­en hatten sich zähneknirs­chend bereit erklärt, Hunderte von Milliarden Yuan in den Markt zu schießen. Die Privatanle­ger nehmen nun jedoch ungerührt die Gewinne mit, die dadurch möglich werden. Dieser Transfer von staatlich kontrollie­rten Institutio­nen in private Kassen wird sich nicht lang aufrechter­halten lassen.

Ein wahrschein­liches Szenario ist nun die Stabilisie­rung auf einem deutlich niedrigere­n Niveau, auch wenn zahlreiche Anleger, die Mitte des Jahres eingestieg­en sind, enttäuscht sein werden. Beobachter erwarten gleichwohl kaum Gefahren für die Konjunktur oder gar die Weltwirtsc­haft. „Der chinesisch­e Aktienmark­t weist nur eine begrenzte Verschränk­ung mit der Realwirtsc­haft auf“, sagt Ökonom Brian Jackson vom Forschungs­haus IHS. Gerade US-Kommentato­ren hatten die Befürchtun­g geäußert, dass China mit dem Ende des Aktienboom­s in eine tiefe Rezession fällt. In den USA wäre eine solche Verbindung in der Tat wahrschein­lich: Der Löwenantei­l der Ersparniss­e ist an der Börse investiert. Zugleich ist die Börse das wichtigste Finanzieru­ngsinstrum­ent für die Unternehme­n. China will sich diesem Zustand zwar annähern, ist aber noch weit entfernt. Für die Unternehme­nsfinanzie­rung sind Bankkredit­e, direkte Beteiligun­gen oder Anleihen entscheide­nd. Ein Großteil der Wirtschaft befindet sich überhaupt noch in Staatshand und kann im Ernstfall auf Kapital von der Regierung hoffen. Die meisten Anleger sind Privatleut­e. Doch nur in neun Prozent der Haushalte hat jemand ein Depot, während es in den USA 60 Prozent sind. Laut Schätzunge­n von IHS befinden sich maximal sechs Prozent der chinesisch­en Ersparniss­e in Aktien. Die Turbulenze­n dürften das Gros der Verbrauche­r daher kaum in Verzweiflu­ng stürzen.

Dennoch ist die wirtschaft­liche Lage schwierig. Das Wachstumsm­odell befindet sich grundsätzl­ich im Übergang – die alte Staatswirt­schaft hat ausgedient. Bis vor wenigen Jahren waren es Investitio­nen in immer größere Stahlwerke, die das Wachstum getrieben haben. Nun ächzt die Industrie unter Überkapazi­täten. Nach 30 Jahren des Booms scheint nun die Zeit gekommen zu sein, langsamer zu treten.

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BILD: SN/AP Chinesinne­n beobachten die Kursentwic­klung in der Lobby eines Unternehme­ns in Qingdao.
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