Kleinbauern sitzen auf der Anklagebank in Paraguay
Ein Streit um Land brachte die traditionellen Parteien wieder an die Macht.
Rund hundert arme Kleinbauern beanspruchen im Norden Paraguays ein Landgut mit 2000 Hektar. Es stehe ihnen im Rahmen einer Landreform zu, argumentieren sie. Immer wieder besetzen sie das Land, um ihren Anspruch zu bekräftigen. Immer wieder werden sie vertrieben. Am 15. Juni 2012 eskaliert die Lage. Elf Kleinbauern und sechs Soldaten sterben.
Die traditionellen Parteien nutzen die Gunst der Stunde und setzen den linksgerichteten Präsidenten Fernando Lugo, einen früheren Armenbischof, ab. Der bezeichnet das als Staatsstreich, findet sich aber ab. Die alten Machtverhältnisse in dem von wenigen Großgrund- besitzern dominierten Agrarstaat sind binnen Kurzem wiederhergestellt. Der Prozess wegen des Massakers ließ länger auf sich warten. Er begann gestern, Montag. Und auf der Anklagebank sitzen nur Kleinbauern.
Bis 1999 war auf dem umstrittenen Land eine Marineeinheit stationiert. Dann war es Brachland, das entsprechend den Vorgaben der Landreform an die Kleinbauern übergeben werden sollte. Das wiederum wurde von den Eigentümern eines benachbarten Anwesens blockiert, die den Besitz für sich beanspruchten. Das ist in Paraguay nicht selten. Die sich oft überlappenden Grundbesitztitel entsprächen der mehrfachen Fläche des Landes, heißt es halb im Scherz, halb im Ernst. Die Konzentration des Besitzes ist enorm. 2,6 Prozent der Bevölkerung kontrollieren 85,5 Prozent des Agrarlandes, während 91,4 Prozent der Bevölkerung nur sechs Prozent des Agrarlandes zur Verfügung stehen, berichtet die Menschenrechtsorganisation FIAN.
Am 15. Juni 2012 jedenfalls rückten mehr als 300 teils schwer bewaffnete Polizisten von drei Seiten auf das Camp der Besetzer zu. Ein Richter hatte dessen Durchsuchung angeordnet. Rund 65 Landarbeiter hielten sich im Camp auf. Viele sagen später aus, sie glaubten, die Behörden wollten ihnen endlich die Übergabe der Ländereien mitteilen. Stattdessen kommt es zu der Schießerei, bei der sechs Polizisten und elf Landarbeiter sterben. Wer den ersten Schuss abgab, ist ungeklärt. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig. Nun stehen zwölf der Landarbeiter vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft konnte keinen von ihnen als Täter ausmachen. Deshalb lautet die Anklage auf versuchten Totschlag, illegale Landbesetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ihnen allen drohen bis zu 30 Jahre Haft. Die meisten der restlichen überlebenden Bauern können nicht aussagen. Gegen 54 von ihnen wurden Haftbefehle erlassen, sie sind flüchtig. Ein Bündnis aus sechs NGOs, darunter Brot für die Welt, FIAN und Misereor, kritisierte das Verfahren scharf. Es sei zu „schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten“bei den Ermittlungen gekommen, die Justiz sei parteilich. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat Paraguay aufgefordert, „die Gesamtheit des Tatbestandes zu ermitteln und die Verantwortlichen vor Gericht zu führen“. Nach der Absetzung des linken Präsidenten Lugo folgte der konservative Horacio Cartes. Zuletzt haben 3000 Menschen in Asunción gegen ihn protestiert, gefordert wird unter anderem eine Landreform.