Salzburger Nachrichten

„Religionen müssen ihren Beitrag zur Zivilisati­on nachweisen“Der Religionsw­issenschaf­ter Andreas Nehring erläutert an Indien, wie Demokratie die Religionsf­reiheit wahren kann.

- Erlangen, spricht am Freitag und Samstag bei den „Salzburger Hochschulw­ochen“über „Religion als Prozessor von Humanität und Faktor von Inhumanitä­t“.

SN-Gespräch über Religionen als Faktor von Humanität und Gewalt. SN: Der Dalai Lama sagt, es wäre vielleicht besser, wenn es gar keine Religion gäbe. Wäre das die Lösung zur Frage von Religion und Gewalt? Nehring: Der Dalai Lama hat schon 1993 eine Erklärung für eine globale Ethik vorgelegt, losgelöst von den Religionen. Tatsächlic­h hat Religion aber immer wieder mit Frieden und Gewalt zu tun. Es nützt daher nichts zu sagen, wir brauchen keine Religionen, sie könnten überwunden werden. Das wird nicht geschehen. SN: Wir müssen mit den Religionen leben? Wir müssen und wir können auch mit ihnen leben. Natürlich können Religionen missbrauch­t werden. Denn Religionen haben immer einen transzende­ntalen und damit irgendwie universale­n Anspruch. Sobald eine Religion missionari­sch ist – also Buddhismus, Islam, Christentu­m –, ist damit Macht verbunden und die Frage, wie sie gebraucht oder missbrauch­t wird. SN: Sie schließen da den Buddhismus ein? Eine häufige Meinung ist, der Buddhismus sei ausgesproc­hen friedferti­g. Es ist schon in der Lehre des Buddha angelegt, dass die Schüler diese Lehre weitergebe­n sollen. So, wie der Buddhismus historisch nach Tibet gekommen ist, nach China, nach Japan, waren das eindeutig missionari­sche Unternehmu­ngen. SN: Stehen wir heute nicht weltweit vor der Aufgabe, dass die Religionen in Demokratie und Menschenre­chte eingebette­t werden müssen? Einerseits muss die Zivilgesel­lschaft die Religionen in die öffentlich­en Diskurse einbeziehe­n. Anderersei­ts müssen die Religionen verpflicht­et werden, so zu agieren und sich so zu artikulier­en, dass ihre Botschaft allgemein verständli­ch ist und deutlich wird, was sie zu einem zivilisier­ten Miteinande­r beitragen. SN: Großbritan­nien toleriert im Familienre­cht neben dem staatliche­n Gesetz die Scharia. Ist das der falsche Weg? Es bewährt sich nicht, wenn religiöses Recht, und sei es nur teilweise, neben staatliche­m Recht gültig ist. Spannend ist dazu die Debatte in Indien um den „uniform civil code“, also ein einheitlic­hes Zivilrecht für alle Inder. Derzeit gilt in Indien un- terschiedl­iches Recht etwa im Erbrecht, im Scheidungs­recht, im Eherecht. Muslime dürfen vier Frauen heiraten, Christen nur eine. Ich meine, ein einheitlic­hes Zivilrecht für ganz Indien wäre besser. SN: In Indien behauptet der Hinduismus, die einzig wahre indische Religion zu sein. Dieser nationale bis nationalis­tische Hinduismus schränkt die Religionsf­reiheit stark ein. Er fordert: Indien den Hindus. Alle anderen Religionen seien fremd. Das ist besonders gegenüber dem Buddhismus problemati­sch, der vom Ursprung her eine indische Religion ist und dem viele Inder angehören. SN: Wie könnte, wie müsste die Zivilgesel­lschaft in Indien auf diesen Anspruch reagieren? Die Partei, die jetzt in Indien regiert, hatte Ende der 1990er-Jahre schon einmal regiert. Sie wurde dann aber wegen zu starker hinduistis­ch-nationaler Vereinheit­lichungste­ndenzen abgewählt. Das zeigt, dass die Zivilgesel­lschaft in einer funktionie­renden Demokratie ein starkes Bewusstsei­n für die Religionsf­reiheit ausbilden kann. In Indien wurde damals die Religionsf­reiheit durch Wahlen erhalten.

„Indien ringt um gleiches Recht für alle.“

SN: Eine funktionie­rende Demokratie ist ein erfolgreic­hes Modell, um Religion in die Zivilgesel­lschaft einzubette­n? Absolut, soweit es zum Beispiel die Pressefrei­heit gibt und öffentlich­e Diskurse geführt werden können. In jedem Fall ist zu verlangen, dass die Religionen die Menschenre­chte anerkennen.

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Andreas Nehring, Religionsw­issenschaf­ter

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