Spanien ist Königreich der Schlechtverdiener
Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 49 Prozent. Das ist eine Verbesserung. Die konservative Regierung freut sich.
„Wir müssen zwischen Arbeitslosigkeit, Unsicherheit oder Exil wählen“, so beschreibt die spanische Studentin Ema Zelikovitch die Lage vieler junger Leute in Spanien, die nach ihrer Ausbildung auf der Straße stehen. Jeder Zweite unter 25 Jahren findet keinen Job – eine soziale Katastrophe, die derzeit knapp 800.000 Menschen betrifft. Nur in Griechenland sieht es noch schlimmer aus. Hunderttausende junge Menschen haben inzwischen die Koffer gepackt und dem Königreich der Arbeitslosigkeit den Rücken gekehrt.
„Wir gehen nicht, sondern sie werfen uns raus“, lautet der Protestruf der Initiative „Juventud sin Futuro“(Jugend ohne Zukunft). Viele Junge ziehen in die Welt, „weil sie keine andere Wahl haben“, klagt diese Selbsthilfegruppe. Die Emigration Richtung Deutschland, England oder Lateinamerika biete zumindest „eine Chance, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, was in Spanien nicht möglich ist“.
Das Drama dieser verlorenen Generation liefert sogar Stoff für einen Kinofilm. Die Komödie namens „Perdiendo el Norte“(Die Orientierung verlieren) erzählt eine Geschichte, wie sie sich südlich der Pyrenäen tausendfach abspielt: Zwei gut ausgebildete Jungakademiker, ein Wissenschafter und ein Volkswirt, verlassen Spanien Richtung Berlin, um dort ihr Glück zu suchen. Freilich ziemlich blauäugig und ohne Deutschkenntnisse, was nicht untypisch ist und die Jobsuche im Merkel-Land ziemlich erschwert. In Spanien ist von der „Generation null“die Rede. Dazu gehört die 25-jährige Patricia Ceballos. „Ich bin eine der vielen Krankenschwestern, die gezwungen waren, Spanien zu verlassen, um in England eine Arbeit zu finden.“Sie würde nach fast zwei Jahren fern der Heimat gern zurückkommen, aber das sei bei den „elenden Bedingungen“zu Hause nicht möglich. Wie ihr gehe es vielen – „und das lässt bei uns allen Frustration und Wut aufkommen“. Einen kleinen Lichtschimmer gibt es aber: Die Jugendarbeitslosigkeit ist erstmals seit Jahren wieder knapp unter die 50-Prozent-Marke gefallen. Laut Eurostat betrug die Beschäftigungslosigkeit bei der aktiven Bevölkerung unter 25 Jahren zuletzt rund 49 Prozent. 2013 waren es noch 57%.
Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy, der angesichts seines Popularitätstiefs händeringend nach guten Nachrichten sucht, nennt diese leichte Verbesserung am Jobmarkt eine „exzellente“Entwicklung und träumt schon vom Ende der Beschäftigungskrise. Zumal auch die generelle Arbeitslosigkeit langsam abnimmt und nun bei 22 statt bei 26 Prozent liegt. Das ist aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt.
Glücklicherweise sprang der Wirtschaftsmotor wieder an, vor allem dank des Tourismus, der die meisten Jobs schafft. Diese sind keine stabilen Arbeitsplätze, sondern unsichere Saisonjobs. Ingenieure, Naturwissenschafter und Lehrerinnen, die mangels eines adäquaten Arbeitsplatzes als Kellner, Küchenhilfe oder Zimmermädchen um einen Kummerlohn schuften, sind allerorten zu finden. Millionenschwere Beschäftigungsprogramme, die von der EU unterstützt werden, sollen beim Jobaufschwung helfen. Es gibt Anreize für Arbeitgeber, die Jugendliche einstellen. Start-ups werden vom Staat angeschoben: Junge Beschäftigungslose, die sich als Firmengründer versuchen, können ihr Arbeitslosengeld auf einen Schlag kassieren und in die neue Existenz investieren.
Zudem wurden Tarifverträge und Kündigungsschutz aufgeweicht. Was viele Arbeitgeber nutzen, um Zeitkräfte zu Dumpinglöhnen einzustellen, die sie von heute auf morgen wieder feuern können. Aus den „Mil-Euristas“, jenen rund 50 Prozent der spanischen Arbeitnehmer, die nur 1000 Euro brutto im Monat verdienen, wird zunehmend die Schicht der „Ni-Mil-Euristas“, die deutlich weniger als 1000 Euro verdienen: Ein Drittel aller Beschäftigten muss sich inzwischen mit dem Mindestlohn von 649 Euro begnügen. Bei den bis zu 25-Jährigen sind es gar 75 Prozent, die mit diesem Minilohn abgespeist werden.
Deswegen glaubt der 29 Jahre alte Alberto Garzón, der als Spaniens jüngster Parlamentsabgeordneter die Probleme gut kennt, auch nicht an ein schnelles Ende des Jobdramas. Der leichte Aufschwung am Arbeitsmarkt, meint der Sprecher der Oppositionspartei Vereinigte Linke, sei vor allem der Schaffung prekärer Beschäftigungsverhältnisse zuzuschreiben, „von denen die Mehrheit nicht würdig leben kann“.
„Wir gehen nicht, sondern sie werfen uns raus.“
Initiative „Jugend ohne Zukunft“