Lärm türmt sich auf zu neuer Kunst
Babylonisches Sprachgewirr, elektrisierende Gitarren: Was passiert, wenn bildende Künstler mit Ton spielen, ist in Salzburg zu sehen.
SALZBURG. Das Durcheinander der Botschaften, die aus dem Boxenturm dringen, ist nicht einfach zu entwirren. War das nicht die Stimme von US-Präsident Obama? Und was hat er mit den Schlagworten zur Flüchtlingskrise zu tun, die immer wieder aus der Klangkulisse auftauchen? Wer in diesem Wortdickicht bloß noch Bahnhof versteht, hat nicht einmal Unrecht: „Auch Geräusche einer Bahnhofsszene haben wir in die Klanginstallation mit eingebaut“, sagt Martin Lerch. Rund 300 ausrangierte Stereoanlagen, CD-Player und Lautsprecherboxen hat der Salzburger Künstler für seine gemeinsame Arbeit mit Anna und Stefan Wegenkittl aufgetürmt. Die Sprachverwirrung, die den Betrachter umfängt, ist Teil des Konzepts: „Turmbau zu Babel“heißt die Klangskulptur. „Mit den Mitteln der Technik werden immer größere, immer komplexere Türme gebaut“, sagt Lerch zur Präzisierung der Idee. „Aber haben sich die zwischenmenschlichen Beziehungen dadurch wirklich verbessert? Die babylonische Sprachverwirrung ist geblieben.“Im Innenhof des Salzburger Traklhauses gibt der Boxen- turm seit gestern, Donnerstag, einen Vorgeschmack auf das, was in den Ausstellungsräumen wartet. „Lärm“heißt die Sommerschau des Traklhauses. Ein Gehörschutz für den Galeriebesuch ist aber nicht nötig. Viel luftiger als die großen Ausstellungen der vergangenen Sommer ist die Schau geworden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass jede Soundskulptur ihre Klangzone braucht, damit sich die Exponate eben nicht nach babylonischem Prinzip gegenseitig übertönen.
Wie aus Wegwerfmaterial neue Kunst wird, zeigt unterdessen auch Florian Gruber. Als Sounddesigner und Tontechniker ist er gewohnt, alle Kratzgeräusche und Zischlaute aus Sprachaufnahmen zu entfernen. Als Künstler wollte er den Spieß einmal umdrehen. Vier Texte hat er für seine Installation aufgenommen. Aus den Lautsprechern aber dringt nur das, was sonst weggeschnitten würde: Sprechgeräusche im Hochfrequenzbereich.
Die Arbeiten von Salzburger Künstlern, teils aus der Sammlung des Landes, nehmen in der Schau den breitesten Raum ein, wie Galerieleiterin Dietgard Grimmer sagt. Wie ein Grundgeräusch ziehen sich aber auch die Leihgaben von Ger- hard Rühm durch die Räume: An vielen Wänden hängen seine Musikcollagen. Zu den prominenten Leihgaben gehören Bilder von Christian Ludwig Attersee. In seiner vieldeutig betitelten „Haigeige“ist der Bezug zur Musik über Sprachbilder gegeben. Wer sich unter den schwarzen Regenschirm von Klangkünstler Bernhard Leitner stellt, bekommt zur Vision auch den Sound: Aus dem Inneren des Schirms lässt Leitner Klänge regnen.
Auch Arbeiten mit Mozart-Anspielungen füllen im Traklhaus eine Wand. Mit elektrisierenden Klängen spielen hingegen Chris Janka und Daniel Wetzelberger. Gitarrist Janka verstärkt den Strom, den die Tonabnehmer seiner E-Gitarre generieren, in solche Höhen, dass sich das Solo als knisternder Lichtbogen hör- und sichtbar wird. Und bei Wetzelberger wird der Begriff des erdigen Sounds doppeldeutig: Aus feuchtem Ton hat er einen mannshohen Kegel geformt, in dessen Innerem sich ein Verstärker versteckt. Heraus schaut ein Gitarrenkabel. Wer es in die Hand nimmt und dabei den Kegel berührt, löst diverse (Brumm-)Sounds aus: Der Betrachter wird zum Tonkünstler.