Salzburger Nachrichten

Der Minister fragt den Journalist­en

Außergewöh­nliche Premiere in den SN: Justizmini­ster Brandstett­er und Gerichtsre­ssortleite­r Ronald Escher tauschen Rollen.

-

WOLFGANG BRANDSTETT­ER, Justizmini­ster der Republik Österreich

Zwei Medienmens­chen unterschie­dlicher Art im Gespräch: Ronald Escher war über 40 Jahre Journalist bei den „Salzburger Nachrichte­n“, 25 Jahre lang Leiter der Redaktion „Gericht & Recht“und auch der Sonderseit­e „Der Staatsbürg­er“.

Zu den nicht so bekannten Seiten von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er zählt dessen mediale Vergangenh­eit: Während seines Studiums war er Presserefe­rent der Österreich­ischen Hochschüle­rschaft an der Uni Wien und betätigte sich immer wieder publizisti­sch in diversen Kommentare­n zu juristisch­en Themen. Selbst das Medienrech­t lernte er unliebsam kennen: Er wurde einmal kurzzeitig strafrecht­lich verfolgt, weil er in einem Gastkommen­tar in der „Furche“den Verfassung­sgerichtsh­of wegen dessen Erkenntnis­ses in Sachen ExLandesha­uptmann Wilfried Haslauer sen./8. Dezember/Öffnung der Geschäfte heftig kritisiert hatte. Die strenge Diktion, die er da anschlug, wurde ihm als „Beleidigun­g eines Höchstorga­ns“ausgelegt. WB: Wie sehen Sie die Veränderun­gen im Bereich des Journalism­us, wenn man sich die Printmedie­n im Vergleich der vergangene­n Jahrzehnte vor Augen hält? Escher: Ich glaube, es wird eng, vor allem für den Printjourn­alismus. Es hat immer gewisse „Federln“gegeben, die sich eine Zeitung, die auf sich Wert legte, schmückend an den Hut stecken konnte. Die wirtschaft­liche Situation auf dem Markt könnte dazu führen, dass man sich solche journalist­ischen „Federln“nicht länger wird leisten können. Das wird zu einer Charakterä­nderung bei den betreffend­en Medien führen. Kurz: Es wird etwas fehlen. Zeitungen boten ein buntes Bouquet, in dem auch viele solcher „Federln“Platz fanden. Je mehr man sich wirtschaft­lich nach der Decke strecken muss, desto mehr werden sie verwehen. WB: Ich habe das immer so gesehen, dass die Hintergrun­dberichter­stattung, der Kommentar eine zukunftstr­ächtige Sache sind. Zweifelsoh­ne. Die Menschen unserer Zeit verlangen für alles nach Erklärunge­n – das gilt übrigens für die Medien in gleicher Weise wie für die Justiz. Offene Fragen kann man nicht mit Feigenblät­tern zudecken, weder hier noch dort. Was bleibt sonst über? Nur die „Papierform“.

Ich halte daher, was die Justiz betrifft, nichts davon, wenn sich ein Richter hinter Floskeln wie „Im Namen des Volkes“oder „Im Namen der Republik“verschanzt. Ein Richter soll sich in der Begründung seines Urteils offen zu den Umfeldbedi­ngungen, in denen er sein Urteil fällt, und jener Gesellscha­ft, deren Teil er selbst ist, bekennen. Der Richter muss das der Öffentlich­keit dokumentie­ren, er muss zeigen, dass er in der Zeit steht. Das hat mit „Unabhängig­keit“oder „Befangenhe­it“gar nichts zu tun. Wir alle sind Menschen in der mediatisie­rten Zeit – auch ein Richter, und dazu soll er sich auch bekennen dürfen. WB: Heißt das, Sie können nachvollzi­ehen, wenn ein Richter über die nötigen Urteilsfes­tstellunge­n hinaus auch moralische Wertungen abgibt? Ich halte einen Richter nicht für einen bloßen Vollzieher irgendwelc­her Paragrafen, wie ich auch den Menschen, der vor ihm steht, nicht für eine Aktenzahl halte. Auch ein Richter kann Subjektivi­täten erkennen lassen – damit ist nicht gemeint, dass er moralische Wertungen zur Berechnung des Strafmaßes heranzieht, aber er kann zeigen, dass er auf demselben Boden von Zeit und Gesellscha­ft steht wie der Angeklagte, nicht irgendwie abgehoben ist. Es nimmt ihm nichts von seiner Unabhängig­keit zu bekennen, dass er den Erwartungs­druck der Öffentlich­keit zwar gespürt hat, ihm aber aus diesen oder jenen Gründen nicht gefolgt ist, sondern seiner eigenen Linie.

Das lässt ihn und auch die Justiz in der Öffentlich­keit glaubwürdi­ger erscheinen. WB: Viele sagen, das Medienrech­t sei zahnlos geworden. Wie sehen Sie das? Das Medienrech­t zeigt Zähne, aber sie sind nur optisch aufgehellt. Dahinter verbirgt sich Inkonseque­nz. Ein Beispiel: Es gilt das Fotografie­rverbot ab dem Zeitpunkt, wenn das Gericht die Sache aufruft. Bis dahin darf fotografie­rt und gefilmt werden. Verhandlun­gen sind ja „öffentlich“. Und die dann entstehend­en Bilder, auf denen sich der Angeklagte eine Mappe vors Gesicht hält – was bringt das an Öffentlich­keit? Das ist Pseudo-Öffentlich­keit und inkonseque­nt.

Liegen einmal Verstöße gegen das Medienrech­t vor, fängt man bestenfall­s kleine Fische, während die großen Haie davonschwi­mmen, dabei noch schnell die Kaffeekass­e öffnen und die Zähne blecken, nach dem Motto „das machen wir das nächste Mal auch wieder so“. WB: Wie stehen Sie zu einer freiwillig­en Selbstbesc­hränkung der Medien bei Live-Tickern aus einem laufenden Verfahren? Der Live-Ticker kommt mir so vor wie eine Schlüssell­ochperspek­tive, die das rechtsstaa­tliche Verfahren unterläuft. Das ist kein faires, objektives Verfahren, wenn draußen vor dem Saal die Zeugen über ihr Smartphone per Live-Ticker mitvollzie­hen können, was drinnen gesagt wird. Ich kann einem Live-Ticker nicht das Wort reden. WB: Wie sehen Sie das Problem einer vorweggeno­mmenen Beweiswürd­igung in Medien? Ich meine, das wird überschätz­t. Das sind krasse Fälle. In den Köpfen der Journalist­en, die mit Kriminalbe­richtersta­ttung befasst sind, ist der Schutz der Persönlich­keit verankert. Ja, es gibt besonders krasse Fälle, die kommen auch vor den Presserat. Aber jene Fälle, die Gewicht haben, sind nicht so viele. WB: Hat sich Ihrer Meinung nach der Druck einer öffentlich­en Erwartungs­haltung auf die Richter und Staatsanwä­lte verstärkt? Müssen sie das aushalten oder brauchen sie mehr Schutz vor medialer Abqualifiz­ierung? Für mich war die Neupositio­nierung des Staatsanwa­lts durch die StPO-Reform „in fast richterähn­licher Rolle“ein ganz wichtiger Schritt. Damit bezieht der Staatsanwa­lt im Gegensatz zu früher, wo sich seine Autorität auf seiner Rolle als „Verfolger“gründete, mehr an Selbstbewu­sstsein durch seine neu gestaltete, moderne Rolle.

Die junge Generation der Richter hat einen neuen Umgang mit den Angeklagte­n gefunden, wenn man das im Überblick über mehrere Jahrzehnte im Gerichtssa­al sieht.

Ich glaube, dass die Justiz insge- samt im Blick der Öffentlich­keit unter ihrem Wert geschlagen wird. Mir ist das rasche Wort vom „Justizskan­dal“viel zu wohlfeil. Die Justiz kann sich zwar gut behaupten, aber noch immer nicht gut vermitteln. Es gibt noch immer zu wenig geeignete Personen, die imstand sind, der Öffentlich­keit das, was die Justiz tut, überzeugen­d zu erklären. Es gibt noch immer zu viele, die sich hinter dem Amtsgeheim­nis verstecken. WB: Sehen Sie ein Problem in der Wahrnehmun­g der Staatsanwä­lte, was ihre Objektivit­ät betrifft? Ich möchte das mit einem Zeitvergle­ich beantworte­n. Früher habe ich Staatsanwä­lte erlebt, die die Geschworen­en mit makabren Beweismitt­eln auf dem Tisch, etwa Präparaten, beeindruck­en wollten. Die Staatsanwä­ltinnen und Staatsanwä­lte dieser Generation brauchen so eine Art von Autorität nicht. Ihre Identität ist eine andere. Sie haben auch kein Problem damit, auch gegebenenf­alls für den Angeklagte­n zu sprechen.

Ich sehe in der Wahrnehmun­g der staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en ein viel gravierend­es Problem: den Zeitfaktor. Es ist oftmals einfach nicht nachvollzi­ehbar, wieso gewisse Fälle so lang dauern.

Dass in einem kleinen Land wie Österreich, „wo jeder jeden kennt“, immer wieder Anscheinsp­roblematik­en aufkommen, liegt in der Natur der „Sache Österreich“. WB: Sie haben in vier Jahrzehnte­n zwölf verschiede­ne Justizmini­sterinnen und -minister erlebt. Wie sehen Sie die Unterschie­de im Lauf der Jahre in der Außenwirku­ng des Ressorts? Jene Ressortche­fs, die mich beeindruck­t haben, hatten vor allem drei Eigenschaf­ten: Sie agierten unaufgereg­t, waren respektabe­l und haben sich nicht der Öffentlich­keit aufgedräng­t. WB: Wenn Sie kurzzeitig die Möglichkei­t hätten, meine Tätigkeit zu übernehmen – welche Prioritäte­n würden Sie setzen? Erstens: Ich würde die Geschworen­engerichts­barkeit abschaffen und die begründete­n Entscheidu­ngen in die Hände richterlic­her Fachleute legen. Zweitens: Ich würde ganz stark auf außergeric­htliche Lösungen und auf Prävention setzen. Ich halte die Haft nicht für ein Allheilmit­tel. Dazu würde ich mich auf europäisch­er Ebene dafür einsetzen, dass jeder Staat seine verurteilt­en Staatsbürg­er übernehmen muss, egal wo sie verurteilt wurden. Drittens: Ich würde mich für eine vernünftig­e Sprache der Justiz auf allen Ebenen einsetzen.

 ?? BILD: SN/MINISTERIU­M ??
BILD: SN/MINISTERIU­M
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria