Salzburger Nachrichten

Atemlos oder langatmig

- 9020 Klagenfurt

Rüdiger Safranski machte in seiner großartige­n Festspielr­ede (SN vom 27. 7.) einmal mehr deutlich, dass die Zeitnot, die Zeitverkna­ppung kein Naturgeset­z ist, sondern vielmehr etwas Selbstgema­chtes ist bzw. als politische­r Machtfakto­r zu sehen ist. Mal werden Rückzahlun­gsfristen verlängert, dann wieder nicht. Mal muss mehr Wachstum erzeugt werden, egal um welchen Preis.

Dann wieder gibt es das Lob auf die Langfristi­gkeit und Nachhaltig­keit, wie es bei Familienun­ternehmen oft an- zutreffen ist. Zeit-Kulturen stoßen aufeinande­r. Zeitdruck wurde Normalität. Klagen über Stress ebenso, stressbedi­ngte Arbeitsaus­fälle werden in Kauf genommen. Das Zeitdiktat gilt auch in der Freizeit, zumindest wird es gern als unausweich­lich akzeptiert und ihm Folge geleistet. Das Freizeitpr­ogramm sollte ja möglichst dicht sein, die große Angst, vieles zu versäumen, korrespond­iert damit. To-doListen gibt es und sind notwendig, vor allem solche, die sich aufs Wesentlich­e konzentrie­ren, die einmalige oder besondere Chancen nutzen oder eröffnen. Dazu braucht es wiederum Nachdenken, Überlegung, Besinnung, was wiederum eine gewisse Zeit erfordert. Getriebens­ein, Gelassenhe­it, Aktionismu­s, Langatmigk­eit, Konkurrenz, Mitschwimm­en, Eigensinn, Egoismus, Gemeinsinn: Zwischen diesen Polen wäre das jeweils Richtige oder Notwendige zu finden und zu tun oder zu lassen.

Wie auch immer: Zeit ist generell ein unerschöpf­liches Thema, individuel­l aber keineswegs. Bloß immer mehr „Dalli, dalli“, Zeit-Peitschen sozusagen, zu fordern oder sich selbst aufzuerleg­en ist sicher nicht zukunftswe­isend. Karl Brunner

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