Atemlos oder langatmig
Rüdiger Safranski machte in seiner großartigen Festspielrede (SN vom 27. 7.) einmal mehr deutlich, dass die Zeitnot, die Zeitverknappung kein Naturgesetz ist, sondern vielmehr etwas Selbstgemachtes ist bzw. als politischer Machtfaktor zu sehen ist. Mal werden Rückzahlungsfristen verlängert, dann wieder nicht. Mal muss mehr Wachstum erzeugt werden, egal um welchen Preis.
Dann wieder gibt es das Lob auf die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit, wie es bei Familienunternehmen oft an- zutreffen ist. Zeit-Kulturen stoßen aufeinander. Zeitdruck wurde Normalität. Klagen über Stress ebenso, stressbedingte Arbeitsausfälle werden in Kauf genommen. Das Zeitdiktat gilt auch in der Freizeit, zumindest wird es gern als unausweichlich akzeptiert und ihm Folge geleistet. Das Freizeitprogramm sollte ja möglichst dicht sein, die große Angst, vieles zu versäumen, korrespondiert damit. To-doListen gibt es und sind notwendig, vor allem solche, die sich aufs Wesentliche konzentrieren, die einmalige oder besondere Chancen nutzen oder eröffnen. Dazu braucht es wiederum Nachdenken, Überlegung, Besinnung, was wiederum eine gewisse Zeit erfordert. Getriebensein, Gelassenheit, Aktionismus, Langatmigkeit, Konkurrenz, Mitschwimmen, Eigensinn, Egoismus, Gemeinsinn: Zwischen diesen Polen wäre das jeweils Richtige oder Notwendige zu finden und zu tun oder zu lassen.
Wie auch immer: Zeit ist generell ein unerschöpfliches Thema, individuell aber keineswegs. Bloß immer mehr „Dalli, dalli“, Zeit-Peitschen sozusagen, zu fordern oder sich selbst aufzuerlegen ist sicher nicht zukunftsweisend. Karl Brunner