Gletscher verlieren rasant ihr Eis
Der Gletscherschwund im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts erreicht einen historischen Rekordwert.
Solche Aufnahmen wie hier von der Pasterze, Österreichs größtem Gletscher, werden bald selten sein. Das Eis zieht sich weltweit seit 20 Jahren verstärkt von den Gebirgen zurück.
ZÜRICH, WIEN, SALZBURG. Die Gletscher sind weltweit aus dem Gleichgewicht geraten. Einzelne Meldungen über leichte Zuwächse an Eis zeigen keine Umkehr des Trends an. Vorstöße von Gletschern sind regional und zeitlich beschränkt und reichen bei Weitem nicht an die Hochstände der kleinen Eiszeit zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert heran. Das sagt Michael Zemp, Direktor des World Glacier Monitoring Service des Geographischen Instituts der Universität Zürich: „Der Gletscherschwund im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist größer als je gemessen. Die Eisdicke der beobachteten Gletscher nimmt derzeit jedes Jahr zwischen einem halben und einem ganzen Meter ab – das ist zwei bis drei Mal mehr als der entsprechende Durchschnitt in den 80er-Jahren und den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Meeresspiegel steigt jedes Jahr um einen Millimeter allein wegen des Eisverlusts der Gletscher.“Das Schmelzen der Gletscher sei ein globales Phänomen und selbst ohne weiteren Klimawandel werde zusätzlich Eis verloren gehen. Dies belege die neueste Studie des World Glacier Monitoring Service. „Dramatik und Geschwindigkeit der Entwicklung haben uns veranlasst, jetzt einen Gesamtbericht zu verfassen“, erklärt Michael Zemp.
Seit mehr als 120 Jahren sammelt der World Glacier Monitoring Service weltweite Daten zu Gletscherveränderungen. Zusammen mit seinen Korrespondenten in rund 30 Ländern hat der internationale Dienst eine neue, umfassende Analyse der globalen Gletscherveränderungen im „Journal of Glaciology“veröffentlicht. Dabei wurden die Beobachtungen für das erste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mit allen bisher verfügbaren Daten aus Feldbegehungen, flugzeug- und sa- tellitengestützten Beobachtungen verglichen sowie mit Rekonstruktionen alter Daten, die auf Bild- und Schriftquellen basieren.
Besonders stark betroffen sind die Gletscher auf Grönland und die Alpen. Auch für Österreichs Bergwelt gilt, dass Zuwächse an Eis nur noch lokal und auf ein oder zwei Jahre begrenzt vorkommen, wie Bernhard Hynek, Glaziologe der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien, berichtet: „Für unsere Gletscher ist der Sommer ausschlaggebend. Eine lang anhaltende Winterschneedecke und Neuschnee im Sommer schützen das Gletschereis vor der direkten Sonneneinstrahlung und den Sommertemperaturen, was in Summe dann zu einem geringeren Massenverlust der Gletscher führt. Wenn es im Sommer nicht schneit, der Gletscher also nicht von Schnee bedeckt ist, wird die Strahlung mehr absorbiert und das Eis schmilzt. 2011 und 2012 hatten wir extreme Verluste. Im Schnitt verloren wir jedes Jahr zwei Meter Eis. 2013 und 2014 hat die Bilanz besser ausgesehen. Grund dafür war die überdurchschnittlich lang liegende Schneedecke wegen des kühlen und feuchten Frühlings.“
An Österreichs Gletschern wird im Herbst die Massenbilanz des vergangenen Jahres ermittelt. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik untersucht vor allem die Gletscher in den Hohen Tauern. Dazu gehören die Pasterze, Österreichs größter Gletscher, sowie Goldbergkees und Kleinfleißkees im Bereich des Sonnblicks.
An der Pasterze ist gut zu beob- achten, dass das Gleichgewicht nicht mehr stimmt. Im Zeitraum zwischen 1969 und 2012 verlor die Pasterze über die gesamte Fläche im Mittel 37 Meter an Eisdicke. Der große Gletscher verlor im unteren Bereich mehr Masse als im oberen Bereich. Ein Gletscher, der im Gleichgewicht ist, häuft jedoch im oberen Bereich die Masse an, die im unteren Bereich verloren geht. Im Falle der Pasterze ist dieses System völlig aus dem Takt geraten. Die jährlich gewonnene Masse im oberen Bereich ist viel zu gering, um die Massenverluste der tiefer gelegenen Gletscherzunge auszugleichen.
Die Bilanz für heuer werde ebenfalls weniger gut aussehen, sagt Bernhard Hynek: „Die Ausdehnung der Gletscher hat sich zwar in den Alpen während der Erdgeschichte immer wieder geändert. Doch der rasante Gletscherschwund der vergangenen 20 Jahre ist ein globales Signal.“Auswirkungen auf die Trinkwasservorkommen seien in Österreich durch den Gletscherschwund nicht zu befürchten, doch „das schöne Landschaftsbild“werde erheblich beeinträchtigt sein.
„Diese rasante Entwicklung ist ein globales Signal.“