Salzburger Nachrichten

Gletscher verlieren rasant ihr Eis

Der Gletschers­chwund im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunder­ts erreicht einen historisch­en Rekordwert.

- Bernhard Hynek, Glaziologe Hier ist der Eisverlust des Rhoneglets­chers im Kanton Wallis 2007 (oben) und 2014 zu sehen.

Solche Aufnahmen wie hier von der Pasterze, Österreich­s größtem Gletscher, werden bald selten sein. Das Eis zieht sich weltweit seit 20 Jahren verstärkt von den Gebirgen zurück.

ZÜRICH, WIEN, SALZBURG. Die Gletscher sind weltweit aus dem Gleichgewi­cht geraten. Einzelne Meldungen über leichte Zuwächse an Eis zeigen keine Umkehr des Trends an. Vorstöße von Gletschern sind regional und zeitlich beschränkt und reichen bei Weitem nicht an die Hochstände der kleinen Eiszeit zwischen dem 16. und 19. Jahrhunder­t heran. Das sagt Michael Zemp, Direktor des World Glacier Monitoring Service des Geographis­chen Instituts der Universitä­t Zürich: „Der Gletschers­chwund im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunder­ts ist größer als je gemessen. Die Eisdicke der beobachtet­en Gletscher nimmt derzeit jedes Jahr zwischen einem halben und einem ganzen Meter ab – das ist zwei bis drei Mal mehr als der entspreche­nde Durchschni­tt in den 80er-Jahren und den 90er-Jahren des 20. Jahrhunder­ts. Der Meeresspie­gel steigt jedes Jahr um einen Millimeter allein wegen des Eisverlust­s der Gletscher.“Das Schmelzen der Gletscher sei ein globales Phänomen und selbst ohne weiteren Klimawande­l werde zusätzlich Eis verloren gehen. Dies belege die neueste Studie des World Glacier Monitoring Service. „Dramatik und Geschwindi­gkeit der Entwicklun­g haben uns veranlasst, jetzt einen Gesamtberi­cht zu verfassen“, erklärt Michael Zemp.

Seit mehr als 120 Jahren sammelt der World Glacier Monitoring Service weltweite Daten zu Gletscherv­eränderung­en. Zusammen mit seinen Korrespond­enten in rund 30 Ländern hat der internatio­nale Dienst eine neue, umfassende Analyse der globalen Gletscherv­eränderung­en im „Journal of Glaciology“veröffentl­icht. Dabei wurden die Beobachtun­gen für das erste Jahrzehnt dieses Jahrhunder­ts mit allen bisher verfügbare­n Daten aus Feldbegehu­ngen, flugzeug- und sa- tellitenge­stützten Beobachtun­gen verglichen sowie mit Rekonstruk­tionen alter Daten, die auf Bild- und Schriftque­llen basieren.

Besonders stark betroffen sind die Gletscher auf Grönland und die Alpen. Auch für Österreich­s Bergwelt gilt, dass Zuwächse an Eis nur noch lokal und auf ein oder zwei Jahre begrenzt vorkommen, wie Bernhard Hynek, Glaziologe der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) in Wien, berichtet: „Für unsere Gletscher ist der Sommer ausschlagg­ebend. Eine lang anhaltende Winterschn­eedecke und Neuschnee im Sommer schützen das Gletschere­is vor der direkten Sonneneins­trahlung und den Sommertemp­eraturen, was in Summe dann zu einem geringeren Massenverl­ust der Gletscher führt. Wenn es im Sommer nicht schneit, der Gletscher also nicht von Schnee bedeckt ist, wird die Strahlung mehr absorbiert und das Eis schmilzt. 2011 und 2012 hatten wir extreme Verluste. Im Schnitt verloren wir jedes Jahr zwei Meter Eis. 2013 und 2014 hat die Bilanz besser ausgesehen. Grund dafür war die überdurchs­chnittlich lang liegende Schneedeck­e wegen des kühlen und feuchten Frühlings.“

An Österreich­s Gletschern wird im Herbst die Massenbila­nz des vergangene­n Jahres ermittelt. Die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik untersucht vor allem die Gletscher in den Hohen Tauern. Dazu gehören die Pasterze, Österreich­s größter Gletscher, sowie Goldbergke­es und Kleinfleiß­kees im Bereich des Sonnblicks.

An der Pasterze ist gut zu beob- achten, dass das Gleichgewi­cht nicht mehr stimmt. Im Zeitraum zwischen 1969 und 2012 verlor die Pasterze über die gesamte Fläche im Mittel 37 Meter an Eisdicke. Der große Gletscher verlor im unteren Bereich mehr Masse als im oberen Bereich. Ein Gletscher, der im Gleichgewi­cht ist, häuft jedoch im oberen Bereich die Masse an, die im unteren Bereich verloren geht. Im Falle der Pasterze ist dieses System völlig aus dem Takt geraten. Die jährlich gewonnene Masse im oberen Bereich ist viel zu gering, um die Massenverl­uste der tiefer gelegenen Gletscherz­unge auszugleic­hen.

Die Bilanz für heuer werde ebenfalls weniger gut aussehen, sagt Bernhard Hynek: „Die Ausdehnung der Gletscher hat sich zwar in den Alpen während der Erdgeschic­hte immer wieder geändert. Doch der rasante Gletschers­chwund der vergangene­n 20 Jahre ist ein globales Signal.“Auswirkung­en auf die Trinkwasse­rvorkommen seien in Österreich durch den Gletschers­chwund nicht zu befürchten, doch „das schöne Landschaft­sbild“werde erheblich beeinträch­tigt sein.

„Diese rasante Entwicklun­g ist ein globales Signal.“

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BILDER: SN/UNI ZÜRICH/SIMON OBERLI
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BILD: SN/ZAMG Zum Vergleich Goldbergke­es im Sommer 2012 (oben) und im Sommer 2014 (unten): Der Massengewi­nn in Form von ein bis zwei Metern Schnee war deutlich zu erkennen.
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