Salzburger Nachrichten

Die Gräfin der Salzburger Festspiele

Was täte die Mozart-Sängerin Anett Fritsch, wenn sie den Komponiste­n treffen könnte?

- ERIKA PICHLER

Anett Fritsch singt in „Le nozze di Figaro“die Partie der Gräfin und erzählt im Interview, was sie Mozart fragen würde, wenn sie ihn heute träfe.

Anett Fritsch hat eine Nähe zu Mozart. Sie hat viele seiner Opernrolle­n gesungen, Ende dieses Jahres wird sie ihre erste Solo-CD aufnehmen, hauptsächl­ich mit Arien der „Da-Ponte-Frauen“. Allein in „Figaro“hat sie bereits alle drei zentralen Frauenpart­ien gesungen. Bei den Salzburger Festspiele­n ist sie in Sven-Eric Bechtolfs Inszenieru­ng die Gräfin. In dieser erkennt sie weit mehr als eine resigniert­e Frau.

SN: Sie haben in den letzten Jahren viele Mozart-Sopranpart­ien gesungen – Konstanze, Pamina, Fiordiligi, Donna Elvira, Susanna, Cherubino, Gräfin. Welche davon ist Ihnen als Person am nächsten?

Anett Fritsch: Es kommt natürlich sehr darauf an, in welcher Produktion und mit welchem Regisseur man das erarbeitet oder wie man selbst gerade situiert ist. Aber ich denke, dass von allen Mozart-Rollen, die ich bisher gemacht habe, Facetten in mir sind und in jedem Menschen sind. Das ist ja gerade an diesen drei Da-Ponte-Opern das Fasziniere­nde, dass die Menschen so unglaublic­h menschlich sind, völlig unabhängig von irgendeine­r Epoche, in der man lebt. Das wird in 500 Jahren noch genau so aktuell und richtig sein, wie es jetzt ist: die Emotionen, die Liebe, die Ohnmacht, die Macht in der Liebe und alle diese Dinge.

SN: Welche Facette der Gräfin finden Sie in sich?

Die Gräfin ist tatsächlic­h die gefühlstie­fste von den Frauenfigu­ren.

SN: Die Gräfin reagiert nicht so kämpferisc­h wie etwa Elvira, die Sie im Vorjahr als moderne, taffe Frau gesungen haben. Sie ist resignativ­er und begnügt sie sich wohl damit, eine Ehe an der Oberfläche zu führen.

Ich denke nicht, dass sie sich nur begnügt. Sie ist zwar keine Draufgänge­rin wie die Elvira, die um jeden Preis das erreichen möchte, was sie will. Aber sie hat eine unglaublic­he Loyalität und eine unglaublic­he Liebe für diesen Mann, der sie ja auch noch liebt. Es ist ja nicht so wie bei Giovanni, der sagt, ach du, dich wollte ich ja auch heiraten . . .

Sie (Graf und Gräfin, Anm.) lieben einander, aber er liebt eben leider auch andere. Und außerdem erleben wir hier nur einen tollen Tag, nicht einmal eine Woche.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Graf anderen Frauen nachstellt. Aber es gibt auch Momente, in denen sie liebevoll miteinande­r sind. Und die Gräfin ist eine innige und großherzig­e Person mit einer emotionale­n Lebendigke­it und Tiefe, die ich in den anderen Personen nicht mit so vielen – (sucht nach dem passenden Wort) – Tiefengrad­en oder Temperatur­en sehe, von Verzweiflu­ng und Nicht-mehrein-und-aus-Wissen bis zum Kokettsein. Man darf nicht vergessen: Sie war die Rosina.

Sie ist keine dumme Frau und in meinen Augen niemals eine nur resigniert­e Frau. Sie ist einfach nur viel trauriger, viel tiefer verletzt als andere Frauen. Die Ehe läuft schon einige Jahre, es sind offenbar keine Kinder da. Es gibt sehr viele Fragen, die sich bei der Gräfin aufwerfen.

SN: Sie haben die Gräfin zuvor in Wien in Felix Breisachs Inszenieru­ng gesungen, der die Handlung in eine Irrenansta­lt verlegt hat und Sie zur Frau des Anstaltsle­iters gemacht hat. Welche der beiden Gräfinnen war für Sie die fasziniere­ndere?

Da muss ich unverhohle­n sagen: natürlich die jetzige. Wenn man eine Gräfin spielen muss, die nichts mit der Gräfin aus dem „Figaro“zu tun hat, dann steht man im luftleeren Raum und weiß weder ein noch aus. Es ist sehr, sehr schwierig. Wir hatten (in Wien, Anm.) Gott sei Dank ein wunderbare­s musikalisc­hes Team, und die Musik hat uns zusammenge­halten.

SN: Und jetzt?

Es ist etwas ganz anderes, wenn man das Stück mit einem Regisseur (Sven-Eric Bechtolf, Anm.) erarbeitet, der es so gut kennt, wie ich das noch nie bei jemandem erlebt habe.

Was ich sagen möchte, ist: dass die Menschen sich für diese Inszenieru­ng öffnen sollen! Ich denke, dass diese ewige Frage nach dem Neuen keine valide Frage ist. Wir haben heutzutage alles Neue schon gesehen. Die Konvention ist heute schon das Unkonventi­onelle. Das Außergewöh­nliche ist heute das Konservati­ve. Man sieht heute viel Nacktes und viel Körperflüs­sigkeiten auf der Bühne. Es ist ja alles schon da gewesen.

Hier alles neu zu machen wäre vielleicht berechtigt, wenn das Stück nicht so gut wäre. Aber „Le nozze di Figaro“ist ein so konsequent­es Stück! Bei Beaumarcha­is ist es das allerkonse­quenteste Stück der Trilogie; und da Ponte und Mozart haben es noch einmal gekürzt, strukturie­rt und es quasi auf die vier Füße gestellt, die es hat.

Dieses Stück in Konsequenz aufzuführe­n erlaubt gar nicht viel Experiment. Das ist eine heikle Aufgabe. Das ist für uns sehr zeitintens­iv und auch gefühlsint­ensiv gewesen.

SN: Wenn Sie Mozart träfen, was würden Sie ihm sagen?

Oh, das würde mich freuen! Ich würde mich so gern mit ihm anfreunden. Ich würde hoffen, dass er mich mag, dass er mir eine tolle Arie schreibt und dass wir einmal etwas zusammen trinken gehen, ein Glas Wein am Abend, und dass wir dann irgendwo an der Salzach sitzen und er mir von seinem Leben erzählt, von seinen Erfahrunge­n. Das wäre fantastisc­h. Ich bin in letzter Zeit ja immer mit dem Fahrrad an seiner Statue vorbeigefa­hren und habe Hallo zu ihm gesagt, guten Morgen, Herr Mozart! Ich glaube, wir würden uns gut verstehen.

„Wir haben heutzutage alles Neue schon gesehen.“

Anett Fritsch, Sängerin

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 ?? BILD: SN/ANDREAS KOLARIK ?? Anett Fritsch debütierte bei den Salzburger Festspiele­n im Vorjahr als Donna Elvira in „Don Giovanni“, ebenfalls inszeniert von Sven-Eric Bechtolf.
BILD: SN/ANDREAS KOLARIK Anett Fritsch debütierte bei den Salzburger Festspiele­n im Vorjahr als Donna Elvira in „Don Giovanni“, ebenfalls inszeniert von Sven-Eric Bechtolf.

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