Salzburger Nachrichten

Es braucht Maßnahmen gegen Arbeitslos­igkeit, nicht gegen Arbeitslos­e

Wenn sich Arbeit lohnen soll, gilt es die Arbeitsanr­eize zu stärken und ausreichen­d Beschäftig­ung zu schaffen. Ein Gastkommen­tar.

- Walter J. Pfeil Zur Person: Walter J. Pfeil ist Professor für Arbeitsrec­ht und Sozialrech­t an der Universitä­t Salzburg. Er forscht u. a. zu den Systemen für Arbeitslos­e und Einkommens­schwache und wirkt als Experte an den Bund-Länder-Verhandlun­gen zur Min

Ist es der Vorwahlkam­pf, das Ablenken vom Flüchtling­s- oder Heta-Problem oder nur das Sommerloch? Die jüngste Diskussion über Leistungen für Arbeitslos­e läuft an den Fakten vorbei, die daher in Erinnerung zu rufen sind.

Die Leistungen seien zu hoch: Der internatio­nale Vergleich legt das Gegenteil nahe. Mit einer Ersatzrate von 55 Prozent des vorherigen durchschni­ttlichen Nettoeinko­mmens liegt Österreich hinter Dänemark, Schweden oder den Niederland­en (alle über 70 Prozent) und sogar Deutschlan­d (60 Prozent). Ähnliches gilt für die absoluten Beträge, die sich 2014 bei Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe im Schnitt auf 26,60 Euro pro Tag beliefen.

Die Leistungsv­oraussetzu­ngen seien zu großzügig: Seit Jahren gibt es im Rahmen der maßgebende­n „Zumutbarke­it“kein Recht mehr, nur in den bisherigen Beruf vermittelt zu werden. Auch die kritisiert­e Begrenzung der Wegzeit auf zwei Stunden täglich für Hin- und Rückfahrt gilt vor allem für Arbeitslos­e mit Betreuungs­pflichten gegenüber Kindern. Und Teilzeitbe­schäftigun­gen sind (zumal für Langzeitar­beitslose) natürlich zumutbar. Nur bringen sie kein ausreichen­des Einkommen, schon gar nicht, wenn eine Familie zu erhalten ist.

Leistungen gibt es nur für Arbeitswil­lige

Damit ist der nicht gegebene „Lohnabstan­d“angesproch­en. Diese Kritik lässt sich für die (notabene aus Beiträgen finanziert­en und daher mit legitimen Erwartunge­n verbundene­n) Leistungen der Arbeitslos­enversiche­rung kaum aufrechter­halten. Hier kommt die Bedarfsori­entierte Mindestsic­herung ins Spiel, die wie die frühere Sozialhilf­e ein Mindestein­kommen auch ohne vorherige Beiträge gewährleis­ten soll. Dafür sind die Länder zuständig, die Mindestsic­herung hat nur bundesweit­e Mindestbet­räge gebracht, die monatlich für Alleinsteh­ende bei 827 (für ein Paar bei 1241) Euro liegen. Dazu kommen Zuschläge für Kinder und in einigen Ländern auch für hohe Wohnkosten (die aber in Summe kaum zu höheren Leistungen führen als beim oft beschworen­en deutschen „Hartz 4“, das zwar niedrigere Grundbeträ­ge, aber mehr und stärker differenzi­erte Zusatzleis­tungen kennt).

Damit könnten arbeitslos­e Mindestsic­herungsbez­ieher, die für Angehörige zu sorgen haben und in einer Stadt mit teuren Mieten wohnen, Leistungen erhalten, die sogar höher sind als Erwerbsein­kommen (der monatliche Median für Unselbstst­ändige lag 2013 unter anteiliger Einrechnun­g des 13./14. Bezugs bei 1805 Euro netto). Man kann schon bezweifeln, ob diese Leistungen für eine Familie mit Kindern wirklich zu hoch sind, sollte aber vor allem bedenken, dass sie subsidiär sind: Sie gebühren nur bei Fehlen sonstiger Einkünfte oder Unterhalts­ansprüche und erst nach Einsatz des verwertbar­en Vermögens (bis hin zur Verpfändun­g des Eigenheims) sowie gegen nachträgli­che Ersatzpfli­chten (auch naher An- gehöriger oder Erben). Vor allem aber gibt es Mindestsic­herung – wie Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe – nur für Arbeitswil­lige. Wer seine Arbeitskra­ft nicht einsetzen will (und nicht arbeitsunf­ähig oder in Ausbildung ist bzw. zwingende Betreuungs­pflichten hat), verliert seine Ansprüche. Wer dagegen arbeitet und nicht genug verdient, kann ebenfalls Mindestsic­herung beanspruch­en. Das erfolgt freilich kaum, aus Sicht der Betroffene­n wegen der strengen Bedingunge­n und der drohenden Stigmatisi­erung im Umfeld (übrigens ein Hauptgrund für die viel stärkere Inanspruch­nahme in größeren Städten). Auch für die Gesellscha­ft kann ein Aufstocken von Niedriglöh­nen durch Sozialleis­tungen nicht erwünscht sein: Abgesehen von der Erhöhung der Staatsausg­aben würde das nur bewirken, dass die Arbeitsein­kommen gerade im Niedrigloh­nbereich weiter sinken würden. Österreich wird dennoch nie mit Billiglohn­ländern in Osteuropa oder Asien konkurrier­en können. Ein „Kombilohn“kann sinnvoll sein, etwa für Menschen, die gesundheit­sbedingt in eine schlechter bezahlte Tätigkeit wechseln müssen, aber nicht als Lohnsubven­tion. Das würde nur den Lohndruck und in der Folge die Armutsgefä­hrdung (auch für die bisher regulär Beschäftig­ten und passabel Verdienend­en!) weiter verstärken. Gleiches gilt für den Ansatz, Arbeitslos­e auch unterkolle­ktivvertra­glich entlohnen zu dürfen, der in Deutschlan­d dazu beigetrage­n hat, dass ein gesetzlich­er Mindestloh­n notwendig wurde.

Wenn sich Arbeit lohnen soll, gilt es vielmehr die Arbeitsanr­eize zu stärken. Das könnte dadurch erfolgen, dass Arbeitslos­e einen Teil ihrer Sozialansp­rüche behalten, wenn sie wieder in Arbeit stehen, damit sie wieder nachhaltig Fuß fassen können. Auch eine Senkung von Lohnnebenk­osten wäre – zumal für die Arbeitgebe­r – hilfreich. Um für fast 400.000 Arbeitslos­e Beschäftig­ung zu generieren, wird es vor allem wirtschaft­s- und konjunktur­politische­r Maßnahmen einschließ­lich einer klugen Arbeitszei­tverkürzun­g (mehr Freizeit statt Lohnerhöhu­ng) bedürfen. Die Verschärfu­ng von Zumutbarke­itsbestimm­ungen oder die Kürzung von Leistungsa­nsprüchen schafft dagegen gewiss keine Arbeitsplä­tze!

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Die Verschärfu­ng von Zumutbarke­itsbestimm­ungen schafft keine Arbeitsplä­tze, gibt Sozialrech­tler Walter Pfeil zu bedenken. BILD: SN/APA
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