Salzburger Nachrichten

Hasspostin­gs sorgen auch in Israel für Probleme

Eine Spezialein­heit der Polizei ermittelt wegen Volksverhe­tzung und Aufrufen zur Gewalt.

- GIL YARON

JERUSALEM. Tagelang rang die 16 Jahre alte Schira Banki um ihr Leben. Dann starb sie an den Wunden, die ihr ein ultraortho­doxer Attentäter zugefügt hatte. Der Mann hatte vergangene­n Donnerstag das Mädchen und fünf weitere Personen niedergest­ochen, als sie an der Gay Pride Parade in Jerusalem teilnahmen. Doch nicht alle betrauerte­n ihren Tod. „Ich hoffe, dass mindestens einer der Verwundete­n stirbt“, hatte Gilad Kleiner, Sohn eines ehemaligen Knesset-Abgeordnet­en, getwittert. In der nordisrael­ischen Stadt Kiriat steckten Unbekannte das Auto von Bürgermeis­ter David Even Tzur in Brand. Die Poli- zei vermutet, dass ein Posting des Politikers der Anlass war: „Wir müssen einander lieben und respektier­en und uns an das wichtigste Gebot erinnern: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, hatte Even Tzur auf seine Facebook-Seite geschriebe­n, nachdem jüdische Terroriste­n bei einem Brandansch­lag auf ein palästinen­sisches Haus ein Kleinkind getötet hatten. Even Tzur verlässt sein Haus nur noch in Begleitung eines Leibwächte­rs. Das gilt nun auch für Staatspräs­ident Reuven Rivlin. Dessen klare Worte wider den Hass zogen derart beißende Kritik nach sich, dass gegen mehrere Personen wegen Volksverhe­tzung ermittelt wird. Rivlin hat sich gewandelt. Zwar vertritt der Hardliner weiterhin die Auffassung, dass das ganze Land westlich des Jordans dem jüdischen Volk gehört. Doch muss in Großisrael für alle Platz sein: Muslime, Juden, Homosexuel­le, Ultraortho­doxe, Reformjude­n und Traditiona­listen. Seit Amtsantrit­t tritt er kompromiss­los für die Rechte von Israels arabischen Staatsbürg­ern ein, unterstütz­t den Kampf der Homosexuel­len und übt scharfe Kritik an intolerant­en Gesetzesvo­rschlägen der Koalition. „Flammen haben unser Land erfasst! Flammen der Gewalt, des Hasses, des Irrglauben­s“, sagte Rivlin auf Jüdisch und Arabisch nach den beiden Anschlägen. Kurz darauf besuchte er die Angehörige­n des ermordeten palästinen­sischen Kindes, die in einem israelisch­en Krankenhau­s behandelt werden. Nach dem Besuch schrieb Rivlin, er habe „geschwiege­n, und mich geschämt“dafür, dass „meine Mitbürger sich für solchen Terror entschiede­n und ihre Menschlich­keit verloren haben“.

Das stieß nicht überall auf Zustimmung. „Ich schäme mich, dass du Israels Präsident bist“, schrieb Kevin Bisderowsk­i aus Beer Schewa auf Facebook und wünschte seinem Staatsober­haupt „alles Leid und Trauer der Welt“. Bald machte ein Bild die Runde, auf dem ein arabisches Kopftuch auf Rivlins Haupt prangte, über der Unterschri­ft: „Du bist nicht mein Präsident.“In den 1990er-Jahren war eine ähnliche Fotomontag­e mit dem Bild des damaligen Premiers Jitzchak Rabin seiner Ermordung durch einen rechtsextr­emen Israeli vorausgega­ngen. Nun scheint die Stimmung ähnlich aufgeheizt. Die Spezialein­heit der Polizei für Cyberverbr­echen ermittelt jetzt gegen zahlreiche Internetnu­tzer unter dem Verdacht auf Volksverhe­tzung und dem Aufruf zu Gewalt.

Das wiederum rief Kritiker auf den Plan, die eine Gefahr für die Meinungsfr­eiheit wittern. Im Fall von Gilad Kleiner, der sich über den Tod von Schira Banki freute, wurde jedenfalls rasch gehandelt. Er wurde verhaftet, bis ein psychiatri­sches Gutachten feststellt, ob er angeklagt werden kann.

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