Salzburger Nachrichten

Freiheit, nicht die Prüderie ändert die Bademoden

Eine Gesellscha­ft unterwirft sich immer wieder immer neuen Moden. Manchmal trägt man mehr Bekleidung, manchmal weniger.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Kein blanker Busen mehr im Freibad, keine Nackten am Badesee – und schon diagnostiz­ieren g’scheite Menschen einen Wandel allgemeine­r Moralvorst­ellungen hin zu jenem Bild von Sexualität, das man in den USA habe. Wir leben in einer Zeit, in der es unmöglich zu sein scheint, die Schwankung­en allgemeine­r Modeersche­inungen nicht sofort mit einem Etikett zu versehen. Und wenn es gelingt, einer Entwicklun­g sozusagen einen Stempel aufzudrück­en, der dem weitverbre­iteten latenten Antiamerik­anismus entgegenko­mmt, dann ist es besonders genehm.

Die Tatsache, dass die jungen Österreich­erinnen und Österreich­er es nicht mehr so schick finden, in aller Öffentlich­keit streifenfr­ei braun zu werden, wird flugs umgedeutet in eine Abwendung von allzu großer Freizügigk­eit, hin zu mehr Prüderie.

Das Baden ohne Badebeklei­dung hat eine lange Geschichte. Schon 1778 wurde erstmals eine Gruppe von Revolution­ären erwähnt, die die Nacktheit zum Weltbild erkoren haben. Anfang des 20. Jahrhunder­ts versuchte die Arbeiterbe­wegung, den Menschen Licht, Luft und Sonne als gesundes Gegenbild zur Arbeit in Fabrikshal­len nahezubrin­gen. Und 1936 ersuchte der damalige englische König Edward VIII. offiziell um die Erlaubnis, auf der kroatische­n Insel Rab beim Schwimmen auf die Badehose verzichten zu dürfen. Ideologisc­h lässt sich dieses Badevergnü­gen also nicht zuordnen. Da waren schon eher die Gegner eindeutige­r deklariert: Konservati­ve Kreise und vor allem die katholisch­e Kirche schimpften über das Nacktbaden als „unanständi­g“und „anstößig“und „schamlos“.

Deshalb mussten die Naturisten sich ja auch in Vereine mit festgeschr­iebenen Statuten und Vereinsreg­eln zurückzieh­en, um sich zu schützen und abzugrenze­n. Das ist heute nicht mehr nötig. Nahezu jeder hat in Europa die Freiheit, sich zum Baden einen Ort zu suchen, wo er sich so kleiden kann, wie er will – oder sich nicht bekleidet. Es regt kaum mehr jemanden auf, wenn irgendwo ein paar Zentimeter Haut extra zu sehen sind. Das wäre ja auch grotesk in einer Welt, in der TV-Programme, Zeitschrif­ten und Zeitungen voll sind von blanken Pos und nackten Busen, in der an manchem Zeitschrif­tenkiosk mehr Nackte zu sehen sind als am Strand.

Ein großes Maß an Freiheit, nicht mehr Prüderie, führt dazu, dass geradezu paradiesis­che Zustände einkehren: Zwar sind Bekleidung und Mode ein Statement des Individuum­s. Doch bleibt man tolerant gegen den Nächsten, ob gestylt oder nackt.

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