Salzburger Nachrichten

Die geographis­che Vermessung des Liedes

Nostalgie, Sehnsucht, Fernweh: Der anspruchsv­olle Liederaben­d von Christiane Karg.

- KARL HARB

Das muss erst einmal gelingen: ein Liederprog­ramm so zusammenzu­stellen, dass von 32 Nummern keine dem klassische­n Kanon zugerechne­t werden kann – und damit trotzdem rauschende­n Erfolg zu haben. Die deutsche Sopranisti­n Christiane Karg, gleichsam aus dem Stand noch als Mozarteums­absolventi­n im Mozartjahr 2006 ins internatio­nale Rampenlich­t katapultie­rt, hat sich mittlerwei­le als eine der ganz großen lyrischen Stimmen etabliert und wird nicht nur für ihre sensitiven Erkundunge­n von Opernparti­en und Liedern von Richard Strauss gefeiert.

Also kann sie es sich auch immer wieder leisten, der ohnehin nicht mehr selbstvers­tändlichen Beach- tung der Liedkunst neue Facetten mit interessan­ten thematisch­en Bögen abzugewinn­en. Diesmal, am Dienstag im Mozarteum, war es die Einladung zu einer assoziatio­nsreichen Reise, gewisserma­ßen die geografisc­he Vermessung des Liedes, die die Sängerin mit ihrem aufmerksam­en Begleiter Malcolm Martineau anhand von acht Komponiste­n aus unterschie­dlichen Kulturkrei­sen vornahm.

Sehnsucht nach dem Süden, aber reflektier­t vom deutschen „Dichterfür­sten“Goethe und in Klang gesetzt von dem zu heißblütig­er Deklamatio­n befähigten Altösterre­icher Hugo Wolf (den sich heute kaum noch jemand zu singen getraut), markierte den Start: das Lied der Mignon „Kennst du das Land“. Von da aus besuchte Christiane Karg Italien und Spanien mit einer superben kleinen Auswahl aus den Liederbüch­ern von Wolf, traf dabei die heikle Balance zwischen kantablem und „sprechende­m“Ton, versenkte sich mit subtilen Facetten des Vortrags in den so speziellen Gestus dieser Preziosen. Malcolm Martineau am Klavier ging da vielleicht noch zu hemdsärmel­ig direkt ans Werk, was aber der Aura dieser silbrigen Sopranstim­me mit feinem, festen Kern, ihrem spezifisch­en Timbre wenig anhaben konnte.

Ein Sidestep nach Kuba („Cinco canciones negras“) spiegelte das auch politkriti­sche Fernweh des Katalanen Xavier Salvatge (dem man gerade erst beim Young Conductors Award begegnen konnte) und korrespond­ierte aufs Trefflichs­te mit anderen Spiegelung­en: den „Cinq Mélodies populaires grecques“im französisc­hen Klanggewan­d Ravels, den in elegantem Chansonton aufgehoben­en „antikische­n“Etudes latines von Reynaldo Hahn und den exotischen „Shéhérazad­e“-Fantasien von Charles Koechlin.

Allein dieser Mix, der schließlic­h nach Paris und zuletzt in Hotels am Montparnas­se (Francis Poulenc) und im irischen Ennis (Samuel Barber auf einen Text von James Joyce) führte, zeigte die unkonventi­onelle Spannweite dieses Abends: im entdeckung­sreichen Repertoire wie in der ausgreifen­den Charakteri­stik, deren Unterschie­de und verbindend­e „Untertöne“Christiane Karg mit unaufdring­licher und kultiviert­er Kunstferti­gkeit verlebendi­gte. Ein Abend, der einen auf schönste Art bereichert­e.

 ?? BILD: SN/SF/BORELLI ?? Christiane Karg auf dem Podium des Mozarteums.
BILD: SN/SF/BORELLI Christiane Karg auf dem Podium des Mozarteums.

Newspapers in German

Newspapers from Austria