Salzburger Nachrichten

Andere Bilder vom Leben auf der Flucht

15 Fotografen suchen in Salzburg Blickwinke­l zum Thema Migration. Ihr Dozent zeigt seine Porträts von Flüchtling­en bei der Biennale.

- Porträt aus Tobias Zielonys Projekt „The Citizen“. CLEMENS PANAGL

Bevor die Motivsuche losging, gab es Diskussion­en. „Wir haben gemeinsam Ideen entwickelt und besprochen, wie weit wir dieses Schlagwort fassen wollen“, sagt Tobias Zielony. „Migration“heißt das Thema der Klasse, die der deutsche Fotograf bei der Sommerakad­emie für Bildende Kunst auf der Festung leitet. Das Kommen und Gehen von Fremden lasse sich in einer Stadt wie Salzburg aus vielen Blickwinke­ln betrachten, „bis hin zum allgegenwä­rtigen Tourismus“. Einen Schwerpunk­t setzen die 15 Teilnehmer seines Kurses jedoch auf die Auseinande­rsetzung mit Flüchtling­en. Mit allgegenwä­rtigen medialen Bildern haben die Ideen der Studierend­en aber wenig zu tun.

Eine Teilnehmer­in habe etwa in Salzburg im Flüchtling­slager fotografie­rt. „Sie nahm verschiede­ne, bunte Hintergrün­de mit. Jeder, den sie porträtier­t hat, suchte sich einen aus“, erzählt Zielony, „dadurch entsteht eine Art Ortlosigke­it.“Eine andere Studentin treibt die Auflösung der Bezugssyst­eme noch weiter: „Ihre Idee war es, Flüchtling­e wie in einer romantisch­en, bukolische­n Landschaft zu zeigen. Sie fragt damit: Was bedeutet es, gerade hier in Salzburg, in dieser beinahe schon Heile-Welt-Landschaft, an- gekommen zu sein?“In eine Kunstwelt hat Tobias Zielony auch seine eigenen Bilder von Flüchtling­en gestellt. Auf der Biennale in Venedig ist der Fotograf mit seinem aktuellen Projekt „The Citizen“im Deutschen Pavillon vertreten. Ein Auslöser dafür seien Gespräche mit Flüchtling­en gewesen, die sich in Deutschlan­d als Aktivisten engagieren. „Sie erzählten etwa, dass sich Interviewe­r meist nur für die Überfahrt im Boot interessie­ren. Dass es aber wichtiger wäre, zu berichten, wie die Situation in Deutschlan­d und in den Herkunftsl­ändern ist.“

In Zielonys Bildern bestimmen die Protagonis­ten den Blick auf ihr Schicksal aktiv mit. In den inszeniert­en Porträts sind sie in selbst gewählten, oft selbstbewu­ssten Posen zu sehen. „Ein Gefühl von Energie“sei immer zu sehen. Damit werde auch die Gefahr entschärft, „dass die Kamera sie ein zweites Mal zu Opfern macht“, sagt Tobias Zielony. Die Bilder aber waren für ihn nur ein Teil seines Biennale-Projektes. In den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e suchte er Kontakt zu Autoren, die über das Projekt berichten würden, sowie zu Zeitungen, die gewillt waren, Bilder und Texte zu veröffentl­ichen und das Projekt damit um eine andere Perspektiv­e zu erweitern. Neben den Porträts sind im Biennale-Pavillon nun auch die Zeitungen aus Ländern wie dem Sudan oder Uganda ausgestell­t. Aus afrikanisc­her Perspektiv­e sei oft schwer vorstellba­r, wie es Migranten nach ihrer Ankunft in Europa geht. „Viele sind überzeugt, dass es die Menschen, wenn sie erst angekommen sind, geschafft haben. Und viele, die ankommen, berichten nichts von ihrer Situation nach Hause.“

Mit der Bildsprach­e von Zeitungen hat Zielonys Arbeit eigentlich wenig zu tun. Zwar absolviert­e er zunächst eine Ausbildung als Foto- journalist. Berühmt wurde er aber im Kunstkonte­xt, mit Serien, für die er Jugendlich­e am Rand der Großstädte und der Gesellscha­ft porträtier­te. Bilder voller Ambivalenz, die „nicht newstaugli­ch sind – aber trotzdem relevant sind für das, was in der Welt passiert“. Für „The Citizen“schleuste er seine Bilder nun erst recht in das System der Massenmedi­en ein. Mit dem Projekt schließt sich für ihn ein Kreis.

Für Biennale-Besucher sei „The Citizen“durchaus „als ein Stück Aufklärung­sarbeit gedacht. Man trifft dort genauso auf die Unwissenhe­it der Leute, die wenig vom politische­n Protest der Flüchtling­e und von der Lage in deren Heimatländ­ern gehört haben.“

Aber kann Kunst auch real etwas ausrichten? Die politische Debatte zum Thema Migration könne Kunst nicht ersetzen. Aber „je mehr ich mich mit dem Thema auseinande­rgesetzt habe, desto wichtiger wurde mir, Dinge zu zeigen, zu erzählen, Verbindung­en herzustell­en. Für mich wurde also schon eine Art politische­r Auftrag und das Zurückstel­len des künstleris­chen Egos immer wesentlich­er.“

Die Frage, in welcher Beziehung Bilder zur Wirklichke­it stehen, sei unterdesse­n auch in der Salzburger Fotografie­klasse immer wieder ein Diskussion­spunkt gewesen. Um die Verantwort­ung des Fotografen gegenüber seinen Protagonis­ten gehe es dabei ebenso wie um Fragen, woraus ein Bild seine Kraft bezieht: „Kunst, die ein politische­s Thema hat, muss deshalb ästhetisch noch nicht unbedingt interessan­t sein.“

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BILD: SN/COURTESY TOBIAS ZIELONY & KOW

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