Galgenvogels Abgesang
Die Salzburger Fassung von Brechts „Dreigroschenoper“ist nicht misslungen, aber wirft Fragen auf.
Es hätte eine späte Genugtuung werden können für Bert Brecht. Der Ende der 1940er aus den USA zurückgekehrte Autor hatte schon ein „Jedermann“-Projekt mit den Salzburger Festspielen vereinbart, er wurde als Kommunist verunglimpft, bekam trotzdem einen österreichischen Pass, was in den Salzburger Brecht-Skandal mündete. Festspielchef Sven-Eric Bechtolf hat Brecht nun zurückgeholt mit dessen berühmtestem Stück, der „Dreigroschenoper“. Die Idee dahinter war, die Musik Kurt Weills, die den Welterfolg des in die Jahre gekommenen Stücks bis heute festigt, durch neue Musik zu ergänzen. Wozu, das blieb auch nach der Premiere am Dienstag in der Felsenreitschule unbeantwortet.
Das Leading Team, also das Regie-Duo Bechtolf und „Jedermann“Regisseur Julian Crouch sowie der Schöpfer der neuen „Jedermann“Musik Martin Lowe, ließ die Ästhetik von „Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigroschenoper“vorhersehbar werden. Im Vorfeld wurde bekannt, dass sich Julian Crouch um das große Ganze, also die Bühne und das Spektakeltheater, kümmern sollte und Sven-Eric Bechtolf um das deutsche Spieldetail und die Rollengestaltung. Schwer zu sagen, wer für die sehr laute, große Geste, die den Abend darstellerisch dominierte, verantwortlich war.
Bechtolf ist ja ein geübter Komödienregisseur mit Händchen für das anspruchslos Populäre, sein „Figaro“könnte genauso „Das Gspusi mit der Susi“heißen wie jetzt Brechts Stück „Mackie Taschenfeitel“für die buchgetreue, pingelige Umsetzung der einst sozialkritischen Moritat. Crouch wiederum hat die Bühne vollgestellt, ruft historische Reminiszenzen aus dem „alten“London mit Schattenrissvideos in den Arkaden hervor, Soho wird aufgebaut mit wandernden Papphäusern. Und wie bei Crouch üblich gibt es auch Puppen, wenn nicht alles täuscht, schauen Bert Brecht und Shakespeare vorbei. Puppenhaft wirken mitunter auch die Menschendarsteller. Platz – und Personal – ist genug in der Felsenreitschule, an Galgen werden Planen hochgezogen für Projektionen, ein Sträflingsballett baut Mackies Käfig, Jennys Nutten tan- zen mit ihren Bügelbrettern, und wenn Mackie auf den Galgen wartet, wird eine Galgenvögelgalerie projiziert. Der Bote der Königin als Deus ex Machina kommt mit Pferdeballett. Es ist ständig etwas los im sich stetig verwandelnden Raum.
Die Premiere gefiel auch den Besuchern, bis auf einen dezenten Publikumsschwund in der Pause und ein paar lautstarken Widerständlern zum großen Schlussapplaus. Das betraf die musikalische „Lösung“; das Ensemble und die Statisterie waren tadellos. Kurt Weills Restmusik ist eingedickt, sofern Martin Lowe – als Musicalarrangeur in der Branche mit Tony und Grammy ganz oben angelangt – nicht neue Gesangsnummern anfertigte. Man hört Über- und Untermalungen der ursprünglich scharf akzentuierten, jazzigen Originalmusik, Songs werden von Synthiepop umschmeichelt, wie man sie oft in Wiens Musicalhäusern hört, wo Musiker wie Christian Kolonovits oder Sylvester Levay die Tonküchen mit breiigen Zutaten versüßen. Zugegeben, raffinierter als In- strumentator ist Lowe schon, er stockte die „Band“Ensemble 013 im Graben – dirigiert von Holger Kolodziej – auf 19 Musiker auf. Weills Hauptschlager wurden beibehalten, so viel Wiedererkennungswert musste sein. Ja, „der Haifisch, der hat Zähne“, aber die sind künstlich blank geputzt und stumpf.
Ein paar Takte auf dem Grammofon eröffnen den Abend, über den „Originalklang“kommt gleich Soße drüber, und Spelunken-Jenny singt die Moritat von Mackie Messer. Das steigert die Erwartung, denn Sona MacDonald als Jenny ist großartig und eine empfindsame Seele. Gesungen wird vereinzelt hervorragend. Sonja Beißwenger wird als Polly ins Zentrum gerückt und singt ebenfalls nah am Weill’schen Tonfall, sie ist coole Nutznießerin des Geschehens um ihren angetrauten Frauenhelden Mackie.
Wie Brecht die Welt auf den Kopf stellt, das wirkt im Saal voller Abendroben und Smokings putzig, zynisch und moralisierend. Bei Brecht sind die Bettler und ihr „Manager“genauso wie die Unterwelt rund um den Ganoven Macheath die „besseren“Kapitalisten. Und wenn das Reizwort „Banken“fällt – „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“–, brandet tatsächlich Zwischenapplaus auf.
Man sieht mehr Brecht, als man braucht, ungekürzt, über drei Stunden. Der leichtsinnige Verbrecher Mackie heiratet in einer „standesgemäßen“Zeremonie Polly, die Tochter des Bettler-„Unternehmers“Jonathan Jeremiah Peachum (Graham F. Valentine, mit deklamierendem Tonfall und mitunter jiddelnd, ist sehr präsent), und verlässt sich ansonsten drauf, dass ihn seine Armeekameradschaft mit dem nunmehrigen Londoner Polizeichef Brown (Sierk Radzei, füllig, aber beweglich) vor dem Gefängnis bewahrt. Selbst auf der Flucht begibt er sich noch gewohnheitsmäßig zu Jennys Rotlichtspelunke, er wird verraten. Als er aus dem Gefängnis befreit wird, setzt Peachum den korrupten Polizeichef unter Druck – Mackie Messer muss hängen, und zwar noch vor der Krönungszeremonie der Königin. Brecht lässt es dank der amnestierenden Königin gnädig ausgehen, der berittene Bote der Königin holt Mackie in letzter Sekunde vom Galgen, großer Schlusschoral.
Dass Michael Rotschopf in der Titelrolle jegliches Charisma des widersprüchlichen Verbrecherkönigs, jegliche Gefährlichkeit der Figur abgeht, macht den Hai zum Goldfisch. Eine Schwachstelle. Unterhaltsam – wie vieles in diesem Spektakel – ist seine pöbelschlaue Bande charakterisiert. Sollte Bert Brechts Zeigefinger auch ein wenig staubig geworden sein: Diese „modernisierte“Wattefassung statt der Kurt-Weill-Musik war nicht gerade der beste Weg, um ihn, wie erhofft, brisant zu machen.
„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Bert Brecht, Dichter