Der E-Bike-Boom ist nicht mehr zu bremsen
Anfangs belächelt, heute der Turbo einer ganzen Branche: Das E-Bike ist nicht aufzuhalten. 2020 soll bereits jedes fünfte verkaufte Fahrrad einen Elektroantrieb haben. Technik und Infrastruktur verbessern sich stetig.
Der Trend zu Rädern mit Elektroantrieb erreicht zunehmend sportliche Fahrer, die früher nur auf eigene Muskelkraft gesetzt haben. Neben den E-Mountainbikern treiben Innovationen den Boom bei E-Bikes an. Bei der weltgrößten Fahrradmesse in Friedrichshafen wird beispielsweise ein E-Bike-Rahmen „made in Germany“präsentiert, dessen Komponenten sich per App steuern lassen. Die Branche erwartet, dass der Anteil der Elektroräder heuer auf bis zu 15 Prozent und bis 2020 auf ein Fünftel steigt.
SALZBURG. Stefan Limbrunner hat wenig Grund, sich Sorgen zu machen. Der Vertriebschef von KTM in Mattighofen hat mit Ende Juli ein höchst erfolgreiches Geschäftsjahr abgeschlossen. Die Produktion konnte um zehn Prozent gesteigert werden, der Umsatz wuchs von 123 auf 140 Mill. Euro. Im mit Anfang August angelaufenen neuen Geschäftsjahr will man nun die 150Mill.-Euro-Marke knacken. Diesem Ziel ist man bereits ein gutes Stück näher gekommen. Die Hälfte der Jahresproduktion von 220.000 Rädern sei bereits verkauft, sagt Limbrunner. Und E-Bikes habe man ohnehin schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr auf Lager. 37.000 Stück hat KTM heuer verkauft.
Seit fünf Jahren trägt das E-Bike auf dem Fahrradmarkt das Gelbe Trikot und ist nicht mehr einzuholen. Noch vor fünf Jahren hatten schlappe zwei Prozent der in Österreich verkauften Räder einen Elektroantrieb, für heuer rechnet man mit zwölf bis 15 Prozent. „2020 sollen es über 20 Prozent sein“, sagt Limbrunner. „Das wären bei 400.000 Rädern, die jedes Jahr in Österreich verkauft werden, 80.000 Stück.“
Selbst Extremradler, die bisher von ihrer eigenen Muskelkraft überzeugt waren, schwingen sich mittlerweile lässig aufs E-Bike. Der Grund: Spätestens mit der heurigen Saison hat das Elektrofahrrad den Durchbruch zum sportlichen Rad geschafft. „Mountainbikes mit Elektroantrieb waren heuer der Verkaufsschlager schlechthin“, sagt Bikepalast-Gründer Alexander Baumschlager. Seit mehr als 20 Jahren ist der Salzburger im Radhandel tätig, Radfreaks vom Triathleten bis zum Extremmountainbiker zählen zu seinen Stammkunden. Erst seit drei Jahren hat Baumschlager EBikes im Programm, „aber was da gerade abläuft, ist extrem. Die Käufer werden definitiv immer jünger.“Dabei ist ein E-Mountainbike mit Preisen zwischen 2500 und 3000 Euro nicht gerade ein Schnäppchen. Aber es gebe „genügend“, die sich das leisten, so der Bikepalast-Chef.
Nicht nur bergauf ist das E-Bike auf der Überholspur, sondern auch bei den Innovationen. „Wenn wir die Entwicklung vom Brief zum Fax bis zum E-Mail hernehmen, dann sind wir beim E-Bike gerade einmal beim Fax angelangt“, Mann Limbrunner.
Wohin die Reise auf zwei Rädern geht, zeigt diese Woche wieder die „Eurobike“in Friedrichshafen. Sie gilt mit 1350 Ausstellern als weltgrößte Fahrradmesse. Über 250 Weltpremieren werden dieses Jahr erwartet, darunter der erste E-BikeBody „made in Germany“. Der Prototyp spielt alle Stückerl – von der Vernetzung der Komponenten mit dem Smartphone und damit einer Steuerung über Apps bis hin zur individuellen Oberflächengestaltung. Entwickelt hat den E-Bike-Body das deutsche Großunternehmen Rehau, eigentlich ein KunststoffteileSpezialist für die Automobil- und Baubranche. Man wolle ein Zeichen setzen und wieder eine industrielle Rahmenfertigung in Deutschland ermöglichen, wird der Einstieg in den Fahrradbau begründet.
sagt KTM-
Vom Fahrradboom profitiert in Europa bisher fast nur der Handel. Die wichtigsten Teilehersteller und -lieferanten der Branche sitzen in Asien. Die Fahrradrahmen kommen aus China, die Feinmechanik aus Taiwan, die Schaltungen meist vom Marktführer Shimano aus Japan. Auch die deutsche Reifenhandelsmarke Schwalbe produziert in Indonesien. Bosch allerdings, europäischer Marktführer bei E-Bike-Antrieben, fertigt in Ungarn. Ohne Komponenten aus Fernost würden weltweit keine Räder mehr entwickelt und endmontiert werden. Weil die Radteile aus Asien in USDollar gehandelt werden, werden die Fahrräder in Europa nächstes Jahr durch die Bank teurer. Angekündigt sind Preiserhöhungen von zehn bis 15 Prozent.
Dass man Teile der Produktion von Asien nach Europa zurückho- len könnte, glauben die wenigsten in der Branche. „Die Marktmacht in Asien ist enorm groß“, sagt Axel Obermayer von Österreichs größtem Händler für Fahrradkomponenten, Thalinger-Lange in Wels. Natürlich gebe es in Europa immer wieder auch Spezialisten, „aber das produzierte Volumen ist entsprechend gering und damit der Preis hoch“. Mit dem anhaltenden Fahrradboom und der hohen Innovationskraft aber erreicht auch die Angebotsvielfalt eine bald unüberschaubare Größe. Rund 35.000 Produkte und Teile für Fahrräder hat Thalinger-Lange auf Lager. Allein bei Federgabeln gebe es mittlerweile vier Laufradgrößen, erklärt Obermayer, „wir haben 26 Zoll, 27 und 29, und jetzt auch noch 27,5“. Am Ende aber sollten Lieferanten und Händler wissen, was der Endkonsument wolle, „nur der ist mittlerweile zunehmend überfordert“.
Spezialisten sind deshalb in der Branche gefragter denn je. „Es entstehen viele neue, kleinere Shops, auch Start-ups mit neuen Ideen im Radbereich haben jetzt große Chancen“, sagt Gernot Kellermayer vom Verband der Sportartikelausrüster und -hersteller Österreichs (VSSÖ). Die Spezialisten hätten derzeit einen großen Zulauf, „die wissen, wie das Produkt läuft, das sie verkaufen“. Dabei fehlt es in Österreich an einer maßgeschneiderten Ausbildung. Die Lehre als Radmechaniker gibt es schon lang nicht mehr. Gefragt sind zunehmend Mechatroniker, „die müssen sich aber auch spezialisieren“, sagt Kellermayer. Derzeit holten sich die meisten Sportartikelverkäufer ihr Rüstzeug in Fahrradmontagekursen, die der VSSÖ und die ARGE Fahrrad anbieten. Ein „einheitliches Berufsbild“aber sei dringend notwendig, „da haben wir noch eine Lücke“.