Salzburger Nachrichten

Der chinesisch­e Drache hustet

Guter Rat ist im Reich des kommunisti­schen Kapitalism­us teuer. Die Methode des durch staatliche Investitio­nen getriebene­n Wachstums ist ausgereizt.

- Han Zhiguo, Bauunterne­hmer

Die Gründung eines eigenen Unternehme­ns war Han Zhiguos Traum. Doch jetzt plagen ihn Sorgen. „Die Wirtschaft läuft nicht rund, überall fehlt die Nachfrage“, sagt er. Han betreibt in Peking eine kleine Baufirma, seine Spezialitä­t sind Renovierun­gen. Früher hatte er stets mehrere Mitarbeite­r beschäftig­t, heute macht er alles allein – es kommen maximal nur noch drei Aufträge im Monat herein. Kaum jemand investiere in seine Wohnung, klagt der 40-Jährige. Im Geschäft mit Neubauten herrscht ebenfalls Flaute.

Die Baubranche ist der Taktgeber der chinesisch­en Wirtschaft. Sie macht einen zweistelli­gen Anteil am Bruttoinla­ndsprodukt aus. Dass es jetzt auch Unternehme­rn wie Han schlecht geht, ist ein Zeichen dafür, wie morsch die Konjunktur in der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft ist. Jahre der Konjunktur­förderung mit allzu freigiebig vergebenen Krediten rächen sich: Es warten bereits zu viele fertige Wohnungen auf einen Käufer, die Fabriken leiden unter Überkapazi­täten. Es geht China zwar heute besser als je zuvor, aber es hapert am heiß ersehn- Finn Mayer-Kuckuk berichtet für die SN aus China ten Wachstum. Das wissen auch die Anleger. Sie haben am Montag an der Börse in Schanghai noch einmal kräftig Aktien verkauft. Auch am Dienstag ging die Talfahrt weiter. Der maßgeblich­e Index Schanghai Composite verlor im Vergleich zu Montag erneut 7,63 Prozent. Das Börsenbaro­meter hat seit Jahresbegi­nn eine Achterbahn­fahrt von zunächst plus 60 Prozent und einem entspreche­nden Absturz hinter sich.

Der ganze Börsenzaub­er hatte von Anfang an nichts mit Erfolgen der Realwirtsc­haft zu tun. Der Caixin-Index für die Leistung der chinesisch­en Industrie ist im August auf den tiefsten Wert seit der Finanzkris­e von 2008/2009 gefallen, nachdem er bereits monatelang geschwäche­lt hat. „Die Wirtschaft hat nach enttäusche­nden Juli-Zahlen im August weiter an Schwung verloren“, sagt Ökonomin Julia Wang von dem Bankhaus HSBC. Die Regie- rung ist alarmiert. Sie will der Wirtschaft mit einem vermeintli­ch bewährten Mittel helfen: billiges Geld. Zudem wurde der Mindestres­ervesatz gesenkt. Diese Zahl gibt an, wie viel Geld die Geschäftsb­anken als Sicherheit bei der Zentralban­k hinterlege­n müssen. Je niedriger, desto mehr Kredite können die Institute vergeben. Eine Senkung würde also Geld freisetzen, das in die Wirtschaft fließen kann. Zudem reduzierte die Zentralban­k den Leitzins um 0,25 Prozentpun­kte auf 4,6 Prozent. Es bleibt jedoch fraglich, ob die Tricks in China selbst noch so gut funktionie­ren, wie die Wirtschaft­splaner es erwarten. „Vor fünf Jahren hätte ich mit einem schönen Kredit vermutlich neue Maschinen oder einen weiteren Lieferwage­n angeschaff­t“, sagt Bauunterne­hmer Han. „Heute würde ich mir keinesfall­s Schulden ans Bein binden.“So denken viele Manager und Firmeninha­ber. In die Wachstumss­chwäche hinein könnte das Angebot der Banken also am Markt vorbeigehe­n – auch hier fehlt die Nachfrage.

Chinas Sorgen bleiben nicht ohne Folgen für die Weltwirtsc­haft. Das Schwellenl­and liefert 15 Prozent der globalen Produktion­sleistung. Zwar erholten sich Europas Börsen am Dienstag wieder deutlich, auch in Tokio ging es bergauf, Lateinamer­ika aber ist deutlich getroffen und das ohnehin kränkelnde Russland rechnet mit einer noch tieferen Rezession.

Ein Totalabstu­rz der chinesisch­en Wirtschaft ist indessen nicht zu erwarten. Bisher ist lediglich das Wachstum um einige Prozentpun­k- te zurückgega­ngen. Selbst die größten Pessimiste­n erwarten noch mehrere Prozent Wachstum im Gesamtjahr 2015.

China hat sich im Ausland kein Geld geliehen und hortet die größten Devisenres­erven der Welt. Peking genießt daher in der Konjunktur­politik viel Handlungsf­reiheit. Schon jetzt stützt die Regierung den Arbeitsmar­kt durch den Bau von Eisenbahne­n, U-Bahnen, Straßen und Wohnblöcke­n in der Provinz. Gerade eben wurde angekündig­t, sechs neue Strecken für Hochgeschw­indigkeits­züge im Wert von 40 Milliarden Euro zu bauen. In einer Datenbank für öffentlich-private Kofinanzie­rungen finden sich Projekte mit einem Volumen von 270 Milliarden Euro.

Die Zufuhr frischen Geldes durch die Zentralban­k bewegt sich derweil in einem Rahmen, den Ökonomen für ungefährli­ch halten. Der Mindestres­ervesatz liegt in China immer noch bei 18 Prozent. Die Europäisch­e Zentralban­k hat ihn vor drei Jahren viel radikaler gesenkt, um den Eurobanken in der Krise zu helfen: auf ein mageres Prozent. China wirkt hier also immer noch deutlich seriöser als Europa. Einen Crash kann Peking verhindern, doch das Grundprobl­em bleibt: Die Möglichkei­ten des von Investitio­nen getriebene­n Wachstumsm­odells sind ausgereizt. Premier Li Keqiang versichert zwar, es gehe wieder aufwärts. Doch Kleinunter­nehmer Han merkt davon noch nichts: „Dieses Jahr war bisher das schwierigs­te für unsere Branche.“

„2015 war das bisher schwierigs­te Jahr für unsere Branche.“

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BILD: SN/EPA Verdauungs­probleme: keine Lust auf noch mehr Nachfrage.
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