Salzburger Nachrichten

Langsam schließen sich die Grenzen

Bulgarien schickt das Militär und will einen Zaun zur Türkei bauen.

- SN, n-ost

Die Fernsehbil­der Tausender Flüchtling­e an der mazedonisc­hserbische­n Grenze haben bei den Bulgaren beunruhige­nde Erinnerung­en und Ängste geweckt. Im Spätsommer 2013 schwoll der Zustrom meist syrischer Flüchtling­e über die türkische Grenze nach Bulgarien abrupt an und führte zu katastroph­alen Bedingunge­n in überfüllte­n Flüchtling­slagern. Ein Zustrom wie jetzt in Mazedonien – „das wäre die apokalypti­schste Variante“, meinte Bulgariens Innenminis­terin Rumjana Batschwaro­wa.

Allein in der vergangene­n Woche sind durch Mazedonien mehr Flüchtling­e gezogen, als seit Jahresbegi­nn nach Bulgarien gekommen sind. Nach Angaben der bulgarisch­en Staatliche­n Agentur für Flüchtling­e haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 9217 Menschen einen Antrag auf Anerkennun­g als Flüchtling gestellt, die fünf Flüchtling­slager sind momentan zu 67 Prozent belegt.

Bulgariens Ministerpr­äsident Bojko Borissow beschwicht­igte am Wochenende, es bestehe kein Grund zur Sorge, dass Bulgarien ein großer Ansturm von Flüchtling­en bevorstünd­e. Doch seine Regierung habe alle notwendige­n Maßnahmen ergriffen. „Wir haben mehr Hubschraub­er und Beamte an die Grenze abkommandi­ert“, sagte Borissow. „Bisher gingen all unsere Ressourcen an die bulgarisch-türkische Grenze, jetzt haben wir sie an die Grenzen zu Mazedonien und Griechenla­nd verlagert.“

Borissow hatte in den vergangene­n Monaten ebenso wie Serbien und Mazedonien gegenüber der Europäisch­en Kommission mehrfach verstärkte finanziell­e Unterstütz­ung für die Bewachung der EU-Außengrenz­e gefordert. „Die Flüchtling­e wählen die Route über Griechenla­nd und Mazedonien nach Serbien, weil wir unsere Grenze so gut bewachen“, betonte Bulgariens Außenminis­ter Daniel Mitow im Hinblick auf die „Balkanrout­e“der Migranten.

Bulgarien hat auf die Flüchtling­swelle vor zwei Jahren mit dem Bau eines dreißig Kilometer langen Grenzzauns zur Türkei reagiert und Hunderte Polizisten an der Grenze stationier­t. Menschenre­chtsorgani­sationen wie Human Rights Watch (HRW) melden seitdem wiederholt, dass bulgarisch­e Grenzpoliz­isten Flüchtling­e gewaltsam am Betreten bulgarisch­en Territoriu­ms hinderten und sie auf türkisches Gebiet zurückdrän­gten – entgegen internatio­nalen Konvention­en. Während der hastig errichtete Grenzzaun an manchen Stellen bereits Schieflage aufweist, plant Bulgarien den Bau eines weiteren, diesmal 130 Kilometer langen Grenzzauns zur Türkei. Doch solange im arabischen Raum kein Frieden herrscht, so die Befürchtun­g, werde der Flüchtling­sstrom nach Europa nicht versiegen, sondern weiter anschwelle­n. Im Vergleich zum Chaos vor zwei Jahren habe sich die Situation der Flüchtling­e in Bulgarien entspannt, die Dauer des Anerkennun­gsverfahre­ns habe sich verkürzt, sagt die Aktivisten Akram Naiuf von der NGO „Vereinigun­g freies Syrien“. Dagegen mache die Integratio­n bereits anerkannte­r Flüchtling­e kaum Fortschrit­te, was auch an den Migranten selbst liege.

„Die wenigsten wollen in Bulgarien bleiben, die meisten drängen nach Westeuropa. So nehmen nur wenige Flüchtling­e an bulgarisch­en Sprachkurs­en teil oder bewerben sich für ausgeschri­ebene Arbeitsste­llen.“Die Statistik der bulgarisch­en Flüchtling­sagentur scheint Naiufs Einschätzu­ng zu bestätigen: Demnach wurde 2015 mehr als die Hälfte aller Anerkennun­gsprozedur­en abgebroche­n. Dies geschieht in der Regel dann, wenn der Kontakt zum Antragstel­ler abbricht – etwa weil sich dieser bereits auf den Weg nach Westeuropa gemacht hat.

Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel appelliert­e indessen am Dienstag erneut an die Staaten der EU, Flüchtling­e fair zu verteilen. „Drei oder vier von 28 können nicht die ganze Last tragen“, sagte sie.

Tags zuvor hatte sie sich bereits gemeinsam mit dem französisc­hen Staatspräs­identen François Hollande dafür ausgesproc­hen, dass die EU-Mitglieder sich auf eine einheitlic­he Liste „sicherer Herkunftss­taaten“verständig­en. Die Einstufung soll dazu dienen, Asylbewerb­er aus diesen Ländern schneller zurück in die Heimat zu schicken, weil sie nicht als politisch verfolgt angesehen werden.

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BILD: SN/EPA An der europäisch­en Außengrenz­e: Flüchtling­e am Eisenbahnü­bergang zwischen Serbien und Ungarn.

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