Russlands Militär stolpert
Unfall mit einer Langstreckenrakete setzt Chemikalien frei.
Beim Verladen von Bord eines Transportschiffs ist auf der Pazifikhalbinsel Kamtschatka eine interkontinentale Trägerrakete für Nuklearwaffen vom Kran gestürzt und schwer beschädigt worden. „Es kam zu einer in den Dienstvorschriften nicht vorgesehenen Situation, bei der Brennstoff freigesetzt wurde“, berichtete der Vizeregierungschef der Region, Sergej Chabarow, laut der Nachrichtenagentur Interfax. Durch den Vorfall, der sich bereits am vergangenen Donnerstag ereignete, sei „keine Gefahr einer radioaktiven Verschmutzung“entstanden; die Rakete sei nicht mit einem atomaren Sprengkopf bestückt gewesen und habe sich auf dem Weg zum Recycling befunden. Es sei zu „chemischer Verschmutzung“gekommen, räumten die Behörden ein, ohne diese jedoch näher zu bezeichnen. Bilder von dem Unfallort in Wiljutschinsk, dem Heimathafen der russischen AtomU-Boot-Flotte im Pazifik, zeigen eine gelbe Giftwolke und Feuerwehrschiffe beim Löschen. Das Internetportal by24.org geht davon aus, dass bei dem Unfall eine Rakete vom Typ R-29 betroffen war. Angesichts der hochgiftigen Zusammensetzung des Treibstoffs sei von einer „großen Umweltkatastrophe“auf Kamtschatka auszugehen. Die Vulkanregion ist größtenteils als Naturpark ausgewiesen und UNESCO-Weltnaturerbe. In der örtlichen Bevölkerung herrscht Medien zufolge Angst, dass radioaktives Material freigesetzt wurde und dies verheimlicht wird. Aufgrund der Desinformationspolitik des Kremls und des regelmäßigen Vertuschens von Unfällen sowie deren Folgen sei das Vertrauen in offizielle Mitteilungen sehr gering, beklagen Kremlkritiker. Der Gouverneur von Kamtschatka, Wladimir Iljuchin, setzte einen Krisenstab zur Beseitigung der „ausgetretenen Flüssigkeit“ein.
In diesem Sommer gab es bereits mehrere schwere Unfälle beim russischen Militär: Ein Atombomber vom Typ Tu-95 stürzte im AmurGebiet ab, ein zweiter im Chabarowsk-Gebiet; bei Manövern kam es zu mehreren Abstürzen von Kampfjets, ebenso eines Hubschraubers. Im sibirischen Omsk brach eine Kaserne zusammen, Dutzende Soldaten wurden unter den Trümmern begraben. Ursache war offenbar Pfusch am Bau, zu dem es nach Ansicht von Oppositionellen auch kam, weil wie üblich staatliche Mittel veruntreut wurden. Kremlkritische Medien kommentierten den erneuten Unfall mit Galgenhumor: „Die einzige Bedrohung, die wirklich für die Generäle der NATO besteht, ist die, dass sie sich totlachen“, schreibt das Internetportal by24.org. Kritische Militärexperten wie der Moskauer Oppositionelle Alexander Golz beklagen seit Langem, Teile des russischen Militärs seien in einem derart desolaten Zustand, dass sie weniger für das Ausland als vielmehr für die eigene Bevölkerung eine Gefahr darstellten.