Auf den Spuren des Online-Dschihad
Weltweit fallen Jugendliche auf die Internet-Propaganda von Islamisten herein. Die Sicherheitsbehörden tun sich schwer, den Online-Dschihad zu bekämpfen. Die finnische Polizei geht deshalb ungewöhnliche Wege.
WIEN, HELSINKI. Nur wenige Mausklicks dauert es, dann ist Pekka Hätönen in der Welt der Online-Propagandamaschine des „Islamischen Staats“(IS). Hinrichtungsvideos, Bilder von Kampfeinsätzen und Aufrufe zum Kampf in Syrien flimmern über den Bildschirm der Facebook-Freunde von Pekka Hätönen. Doch Hätönen ist kein radikaler Islamist, sondern Polizist in Finnland.
Seit einem Jahr geht er nicht mehr ausschließlich auf der Straße auf Streife, sondern auch im Internet – im Dienste der sogenannten Netzpolizei. Sie soll Kontakt mit Jugendlichen halten, die etwa über Facebook radikales Propagandamaterial des IS verbreiten. Ein weltweit einzigartiges Präventionsprojekt. Auch in Österreich beobachtet man den Versuch.
Dabei ist die Methode einfach. Wenn ein „Netzpolizist“Propagandamaterial in sozialen Netzwerken findet, wird der User angeschrieben. „Ich frage ihn, warum er das postet, ob er weiß, dass er Kriegspropaganda verbreitet“, sagt Hätönen. Ziel sei es, eine Diskussion zu starten und einen Einblick in die Szene zu bekommen. „Man darf ja nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen.“Trotzdem ist es laut dem finnischen „Netzpolizisten“wichtig, mit den Jugendlichen zu reden. Die finnischen Behörden wollen die Radikalisierung an der Wurzel packen. „Viele wissen nicht, was Krieg bedeutet oder was der IS eigentlich ist. Die verschicken diese Videos und bewerben sie, einfach weil es viele tun, weil es gerade ein Trend bei vielen Jugend- lichen ist.“Die Reaktionen der angeschriebenen Jugendlichen sind höchst unterschiedlich. „Manchmal entwickelt sich eine fruchtbare Diskussion, manchmal wird meine Nachricht ignoriert.“Auch Shitstorms habe Hätönen schon erlebt. Umso mehr überrascht es, dass die Polizei im Kampf gegen die Propagandamaschine im Internet nicht verdeckt vorgeht. Die „Netzpolizisten“zeigen sich mit vollem Namen und Profilbild. Auch dass Hätönen bei der Polizei arbeitet, ist erkennbar. In Uniform und vor dem Logo der finnischen Polizei posiert er etwa für sein Facebook-Profilbild.
„Es ist wichtig, den Namen zu nennen, nur das schafft Vertrauen.“Und Vertrauen sei das Stichwort in der Präventionsarbeit. Deshalb werden auch keine Namen oder Daten der IS-Sympathisanten von der Polizei aufgenommen, weitergegeben oder verwertet. „Nur wenn wirklich eine strafbare Handlung passiert, etwa ein Aufruf zu einem Terroranschlag, schreiten wir als Sicherheitsbehörde ein“, erklärt Hätönen. Doch die Radikalisierung und die Propaganda passierten oft in einem gesetzlichen Graubereich. „Wo Gesetze noch nicht greifen, kann ich bereits arbeiten.“
Der Polizist, der seit über zehn Jahren Dienst versieht, ist außer im Netz auch in Jugendvereinen, in Moscheen, bei Demonstrationen unterwegs. Das Projekt funktioniere nur, wenn es diese Verbindung zum realen Leben gebe, sagt der Beamte. „So sind wir in die Netzwerke der Radikalen gekommen.“Auch in Finnland sind diese, vor allem über das Internet, auf dem Vormarsch. Die Ausbreitung der Islamisten in sozialen Medien schreitet laut Experten noch immer voran.
In letzter Zeit kommt Hätönen nicht mehr viel zu seiner Arbeit. Aus ganz Europa kommen Anfragen, dass er das finnische Projekt vorstellt. Auch Österreich ist interessiert. Der österreichische Verfassungsschutz stehe mit den finnischen Behörden in Kontakt, heißt es aus dem Innenministerium.
Falls keine strafbare Handlung vorliegt, darf die Polizei in Österreich nur Inhalte im Internet auswerten, die für jeden frei zugänglich sind. Falls der Verdacht einer Straftat vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft den Auftrag geben, Ermittlungen anzustrengen. Darunter fällt auch, mit Usern in Kontakt zu treten. Das finnische Modell will man sich trotzdem ansehen. „Wir warten auf konkrete Ergebnisse“, erklärt Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck.
Doch Erfolge sind in der Präventionsarbeit schwer zu messen. Dass sich hartgesottene Dschihadisten, die vielleicht schon Kampferfahrung haben, durch einen Chat mit der Polizei davon abbringen lassen, glaubt auch die finnische Polizei nicht. „Uns geht es um die Mitläufer.“Um die Tausenden Jugendlichen weltweit, die im Internet das Propagandamaterial des IS teilen, bevor sie selbst radikalisiert werden.