Pensionist ruft Ministaat aus
Dank eines inkompetenten Amts gehört einem italienischen Pensionisten ein Kreisverkehr. Den hat er nun zum unabhängigen Staat erklärt.
Das „Fürstentum von Dellavalle“ist Europas jüngster – und wohl bizarrster – Mikrostaat: Das Miniareal auf einem Kreisverkehr im Nordwesten Italiens ist das Ergebnis von Behördenwillkür und einem seit 15 Jahren andauernden Streit. „Meine Erfahrung ist teils zum Lachen und teils zum Weinen“, sagt der selbst ernannte Staatschef des Fürstentums, Pier Giuseppe Dellavalle. Doch der 70-Jährige lässt sich nicht unterkriegen.
Alles begann kurz nach dem Jahrtausendwechsel. Damals wurde Dellavalles Haus 75 Kilometer nördlich von Turin abgerissen, um Platz für eine neue Umfahrungsstraße zu machen. Er einigte sich mit der nationalen Straßenbaubehörde ANAS auf eine Entschädigungssumme von 600.000 Euro, bekam aber nur 347.000. Noch schlimmer war, dass die Behörde vergaß, ihn zu enteignen. Deshalb muss er noch immer Steuern für ein Gebäude bezahlen, das gar nicht mehr existiert. Auf seine Beschwerde antwortete ein Beamter nur: „Wenn der Computer sagt, dass dort ein Haus steht, muss es auch existieren.“
Nachdem zahlreiche Briefe an die Behörden unbeantwortet blieben, entschied sich Dellavalle, sein Land am Rand der norditalienischen Stadt Vercelli zurückzugewinnen. Seitdem stattet er einem Kreisverkehr auf der Fläche seines ehemaligen Hauses regelmäßige Besuche ab. Inzwischen baut er dort auch Tomaten an, feiert Grillfeste mit Freunden und stellt Protestschilder auf. Die örtlichen Behörden haben versucht, ihn gerichtlich zur Räumung zu zwingen. Aber der Richter entschied zugunsten Dellavalles und erkannte sein Besitzrecht an dem Land an.
„Sie rufen mich regelmäßig an und bitten mich aufzugeben. Aber das werde ich nicht tun“, sagt Dellavalle der Deutschen Presse-Agentur. „Sogar Polizeibeamte einer Sonderabteilung folgen mir auf Schritt und Tritt und schreiben Berichte über mich. Ich denke darüber nach, sie wegen Verfolgung anzuklagen“, sagt der Pensionist. Die „Unabhängigkeitserklärung“von Italien in diesem Jahr war Dellavalles jüngster Trick. Sein „Fürstentum“hat bereits 68 Menschen die Bürgerrechte gegeben. Ein offizielles Motto hat es auch: „Lass uns die Welt nicht in den Händen von Idioten lassen.“
Die liberal-konservative Tageszeitung „Il Foglio“stellte Dellavalles Geschichte kürzlich als Symbol einer kafkaesken Bürokratie dar. Nach Meinung der Wirtschaftslobbyisten von Confindustria wird Italien von einem Gesetzesdschungel von bis zu 150.000 landesweiten und 28.000 regionalen Gesetzen und Regulierungen regiert.
Eine Reduzierung der Bürokratie gehört deshalb zu den wichtigsten Prioritäten für Premierminister Matteo Renzi. Erst vor wenigen Wochen beschloss das Parlament eine Verwaltungsreform; diese muss aber erst noch umgesetzt werden.
Derweil will der ehemalige Handwerker und Hobbyarchäologe Dellavalle, den seine Freunde wegen seines Musketierbarts „d’Artagnan“nennen, seinen Kreuzzug weiterführen, für den er bis heute schon 60.000 Euro Gerichtskosten gezahlt hat. Für September plant er eine weitere Zusammenkunft auf dem Kreisverkehr, um ein Miniparlament und Minister zu nominieren. „Alle sind dabei willkommen, auch Ausländer. Wir trinken einen und amüsieren uns.“
ANAS und die örtlichen Behörden in Vercelli schieben sich dabei gegenseitig den schwarzen Peter zu. Dellavalle sagt, sie hätten nur zwei Möglichkeiten: Entweder müssten sie die Umfahrungsstraße aufreißen und sein Haus wiederaufbauen oder sie zahlten den Rest der Entschädigungssumme.
Bis eine Lösung gefunden ist, wird das „Fürstentum“wohl bleiben – als Insel des Widerstands gegen die Inkompetenz der Behörden. Dellavalle meint: „Wenn man sich ansieht, wie schlecht unsere Institutionen funktionieren, könnte sogar ein Narrenstaat bessere Arbeit leisten.“
„Meine Erfahrung ist teils zum Lachen und teils zum Weinen.“