„Unsere Waffe ist das Wort“
Zu allen Zeiten wurde Archäologie in die Politik verwickelt. Das geschieht auch in der antiken Oasenstadt Palmyra, seit dort Terroristen des IS morden und zerstören. Ein führender Archäologe sagt, was dagegen zu tun sei.
Mitte Mai haben die Terroristen des „Islamischen Staats“die syrische Stadt Palmyra ungehindert in ihre Gewalt gebracht. Sie haben Massaker an den Menschen verübt, zuletzt wurde der betagte Chefarchäologe der antiken Stadt Palmyra, Khaled al-Asaad, ermordet. Palmyra ist für den IS nicht nur auf dem Weg nach Damaskus strategisch wichtig. Die Ruinen aus vorislamischer Zeit sind für die Dschihadisten ein Symbol jener Götzendiener, die sie auslöschen wollen – und mit ihnen die einzigartigen Bauwerke wie soeben den Baalshamin-Tempel.
Doch dort werden sie nicht haltmachen, sagt Andreas SchmidtColinet, Professor für Klassische Archäologie, der 30 Jahre lang in Palmyra forschte. SN: Herr Professor, Sie haben noch Kontakte nach Syrien. Wie sind Ihre Nachrichten aus Palmyra? Schmidt-Colinet: Ich bin mit Mamun Abdulkarim, dem Leiter der Antikenbehörde, in Kontakt, der die Stellung hält. Der Sohn und Nachfolger von Khaled al-Asaad ist mit seiner Familie in Sicherheit. Andere Mitarbeiter, die der Archäologie eng verbunden waren, sind ausge- wandert. Khaled al-Asaad ist gefoltert worden, weil diese Leute des „Islamischen Staats“(IS), die nicht nur Verbrecher, sondern auch dumm sind, nicht verstanden haben, dass Khaleds archäologische Schätze nicht aus Gold, sondern aus Stein sind. Sie wollten von ihm den Aufenthaltsort der Goldkisten wissen. Doch solche existieren nicht. Er wurde deswegen umgebracht, und weil er zu jenen gehört, die sich mit Götzen beschäftigen. Das sind also wir alle, nicht nur die Archäologen. SN: Außer Resolutionen, Lippenbekenntnissen zum Kulturgüterschutz und Betroffenheitskundgebungen ist von politischer Seite bis jetzt nicht viel passiert. Wie schätzen Sie die Lage ein? Das sind alles nur Feigenblätter. Alle Archäologen, die das Land kennen, sagen unermüdlich, dass endlich etwas geschehen muss. Dem IS muss man vereint militärisch und mit aller Härte entgegentreten.
Der Erste, der das endlich auch öffentlich gesagt hat, ist der österreichische Außenminister. Sebastian Kurz hat anlässlich der Eröffnung des Forum Alpbach gesagt, gegen den IS müsste man auch Bodentruppen einsetzen und Öster- reich sollte sich beteiligen. Etwa durch Bereitstellung von Sicherheitsausrüstung. Österreichs Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat sich ähnlich geäußert.
Die Leute in Syrien sagen alle: Das, was wir hier erleben, ist erst der Anfang. Das ist auch die Einschätzung der Archäologen. Der IS hat der westlichen Zivilisation die Vernichtung erklärt. Das haben die Terroristen mitgeteilt. Das zeigen sie bei jeder Gelegenheit. Man soll nicht sagen, man habe das nicht gewusst.
Es ist diese Dimension, die endlich verstanden werden muss. SN: Die Zerstörung der antiken Stätten im nahen Osten betrifft nicht nur die Völker dort . . . Natürlich nicht. Es ist auch völlig falsch, die Menschen vom kulturellem Erbe getrennt zu sehen.
Wir hier wie die Syrer dort wären ohne dieses Erbe nicht das, was wir sind. Der IS zertrümmert eine Kulturlandschaft, in der die Wiege unserer Zivilisation steht. Hier wurde der Mensch sesshaft, hier erfand er die Landwirtschaft, hier erbaute er die ersten Städte. Hier hinterließen die Phönizier jene Grundlagen, auf denen unsere alphabetische Schrift beruht. Da liegt unser historisches Gedächtnis.
Über Palmyra wurde von Spanien bis China globaler Handel betrieben. Die Menschen damals haben es verstanden, altorientalische und griechisch-römische Kulturen friedlich zu verschmelzen. In der Stadt wurden mehrere Sprachen gesprochen. Sie lebten so, als hätte heute bei uns der Stephansdom ein Minarett. Das alles ist hochaktuell und spannend. Davon können wir lernen. Es ist auch dieses Multikulturelle, das die Terroristen vernichten wollen. SN: Was können die Archäologen tun, außer in ohnmächtiger Wut zuzusehen? Wir können nicht hinmarschieren und kämpfen. Unsere einzige Waffe ist das Wort. Wir können nur aufklären und aufrütteln. Wir können nur den Leuten hier die Augen öffnen, so, dass es auch in der Politik verstanden wird. Maßnahmen kann nur die Politik ergreifen.
Ich kann außerdem dem Endverbraucher, dem Sammler, etwas sagen: Wer jetzt syrische antike Artefakte kauft und glaubt, die kämen aus uraltem Schweizer Privatbesitz, der bestiehlt wissentlich seine eigene Kultur. Er hat Blut an seinen Händen kleben. Den Syrern wird ihre Kultur genommen. Aber das alles geht auch gegen uns. Das müssen endlich alle begreifen. Als Wissenschafter haben wir dann noch die Möglichkeit, die Ergebnisse unserer Forschungsarbeiten zu veröffentlichen. Ich habe mit Khaled al-Asaad die Steinbrüche in Palmyra vermessen. Das kann ich publizieren. Wir können zeigen, warum wir in Syrien geforscht haben. Das alles darf nicht vergessen werden. Der italienische Kulturminister hatte übrigens nach Khaled al-Asaads Ermordung angeordnet, die Fahnen an den Kulturstätten auf Halbmast zu senken. In Italien hat man verstanden, worum es geht.
Andreas Schmidt-Colinet
war Professor für Klassische Archäologie. Er baute die syrische Zweigstelle des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Damaskus mit auf und leitete 30 Jahre lang Ausgrabungen in Palmyra. Von 1996 bis 2010 lehrte er als Professor für Klassische Archäologie an der Universität Wien. Das Buch „Palmyras Reichtum durch weltweiten Handel“, herausgegeben von Andreas Schmidt-Colinet und Waleed al-As’ad, ist im Verlag Holzhausen Wien erschienen.