Salzburger Nachrichten

„Wir brauchen eine Revolution der Menschlich­keit“

„Unvorstell­bar“. So nennt Doraja Eberle die Versorgung der 226 Flüchtling­e in der Schwarzenb­ergkaserne. Dort gebe es zu wenig Decken, Kleidung, Hosen, kaum Personal, keine Übersetzer, keinen Arzt.

- Flüchtling­e

Doraja Eberle ist auch in der aktuellen Flüchtling­skrise an vorderster Front aktiv. Mit ihrer Hilfsorgan­isation „Bauern helfen Bauern“versucht sie, das Leben der Hunderten Geflohenen in den wachsenden Zeltstädte­n in Salzburg und Wals zu erleichter­n. Über die Tätigkeit – und Untätigkei­t – vor allem des Innenminis­teriums zeigt sie sich erschütter­t. SN: Frau Eberle, es hat zuletzt viel Kritik an der Firma ORS gegeben, welche in Traiskirch­en, aber auch in Salzburg Flüchtling­e betreut. Sie sind täglich vor Ort – wie beurteilen Sie die Lage? Doraja Eberle: Es hat auch in dem Zeltlager in der Alpenstraß­e zunächst Missstände wie Personalma­ngel und Überforder­ung gegeben. Ich denke, dass sich die Situation mittlerwei­le einigermaß­en eingespiel­t hat. Tatsache ist, dass ORS u. a. vertraglic­h verpflicht­et wäre, den Flüchtling­en Deutschunt­erricht zu geben. Dazu haben sie nicht das nötige Personal. Tatsache ist auch, dass 10 bis 15 ehrenamtli­che Helfer dies seit drei Monaten täglich tun. Bis zu 100 Bewohner des Lagers kommen in diesen Unterricht. SN: Also tun Privatpers­onen, was die Betreuungs­firma zu tun hätte? In einigen Bereichen ja. ORS hat uns zunächst als Bedrohung ge- sehen, weil wir vor Ort die großen Organisati­onsproblem­e gesehen haben. Wir haben gesagt: „Wir sehen, es funktionie­rt nicht, also lasst uns das machen.“Und mittlerwei­le klappt das sehr gut. SN: Und was passiert derzeit in der Schwarzenb­ergkaserne in Wals-Siezenheim? Dort ist die Lage leider ganz anders. Ich muss sagen, es ist unvorstell­bar. Der Bund hat dort derzeit 226 Flüchtling­e auf eine Fläche geschickt, sie sind bei Nacht und Nebel angekommen. Das Innenminis­terium betreut diese Menschen dort selbst, da sich bisher keine andere Organisati­on gefunden hat, die Aufgabe zu übernehmen. Ich möchte vorausschi­cken: Ich ziehe vor dem Personal dort meinen Hut. Diese Menschen tun, was sie können. Sie arbeiten mit vollem Einsatz – rund um die Uhr. SN: Aber? Die Betreuer sind von irgendwelc­hen anderen Dienststel­len extrem kurzfristi­g in das Flüchtling­slager versetzt worden. Es sind maximal drei Leute, oft sind nur zwei da. Sie haben keine Einschulun­g, keine wirkliche Einweisung, keine Ausbildung mit traumatisi­erten Menschen zu arbeiten. Und sie sind nur für weni- ge Wochen oder einige Tage dienstzuge­teilt, dann wechselt die Besetzung wieder. SN: Was ist die Folge? Die Folge ist totale Überforder­ung. Um 7 Uhr früh kommen zwei oder drei dem Ministeriu­m vorübergeh­end dienstzuge­teilte Mitarbeite­r, und dort sind mehr als 200 Menschen. Die frieren, weil sie viel zu wenig Decken haben. Keine langen Hosen, keine ordentlich­en Schuhe. Die krank sind, und nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Die drängende Fragen haben, wie es für sie weitergeht. Natürlich können das zwei oder drei Betreuer niemals bewältigen. SN: Fehlt es dann auch am Essen? Nein, daran nicht. Das Essen des Bundesheer­s ist gut und ausreichen­d. Aber es gibt keinen Arzt, keinen einzigen Übersetzer, keine Rechtsbera­tung. Zwar wurden schließlic­h 200 Decken beim Ministeriu­m schriftlic­h angeforder­t. Aber das ist ein entsetzlic­h bürokratis­cher Vorgang. Die Anschaffun­g muss zuerst einer Kostenstel­le zugeordnet werden. Letztlich habe ich einer Helferin von „Bauern helfen Bauern“gesagt, sie soll zum Möbelhaus Ikea fahren und 300 Decken kaufen. LH-Stv. Astrid Rössler hat spontan die Rechnung dafür übernommen, weil sie gerade anwesend war. Und die Decken haben wir dort am selben Tag ausgeteilt. Auch Schuhe, Hosen, Pullover, Buskarten und gefüllte Rucksäcke konnten wir sofort über private Spender organisier­en. SN: Die Gemeinde WalsSiezen­heim hat nun organisier­t, dass ein Sanitätsco­ntainer für den Gemeindear­zt aufgestell­t wird. Sie sagen, es gibt bisher für die Flüchtling­e keine medizinisc­he Betreuung? Die Flüchtling­e haben zwar Versicheru­ngsnummern. Aber sie brauchen Termine für Haus- und Fachärzte. Sie müssen dort erst einmal hinkommen. Dann können sie sich zum Teil nicht verständig­en und verstehen nicht, welche Medikament­e sie nehmen müssen und wo sie diese bekommen sollen. Auch für Ärzte und Krankenhäu­ser ist dies eine große Herausford­erung. Einige sind von der Flucht verletzt, einige sind Diabetiker, viele leiden an Magen- und Darmkrankh­eiten.

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