Tod in der Ägäis rüttelt Kanada wach
Die Familie des ertrunkenen Dreijährigen wollte zu Aylans Tante nach Kanada. Auf legalem Weg war das nicht möglich.
Für die meisten Kanadier war die Flüchtlingskrise in Europa bislang weit weg. Sie spielte sich jenseits ihres riesigen Kontinents ab, die kanadischen Medien berichteten nur am Rande und an den heimischen Flughäfen kamen bislang nur wenige Asylsuchende an. Auch im laufenden Wahlkampf in Kanada spielte das Thema kaum eine Rolle. Bis jetzt.
Seit die Bilder des ertrunkenen Flüchtlingsbuben Aylan um die Welt gehen, ist auch in Kanada die Bestürzung groß – und die Regierung in Ottawa steht auf einmal mächtig unter Druck. Denn Aylans Familie wollte auf der Flucht vor der islamistischen Terrormiliz „Islami- scher Staat“über die Türkei zu Verwandten nach Vancouver gelangen. Es war ein verzweifelter Versuch, den Aylan, sein Bruder und seine Mutter mit dem Leben bezahlen mussten.
Die Familie hatte ihre Hoffnungen auf Aylans Tante Tima Kurdi gesetzt, die seit 20 Jahren in Vancouver lebt und dort als Friseurin arbeitet. Kurdi wollte den Rest der Familie aus Syrien ins sichere Kanada holen, scheiterte aber trotz mehrfacher Anläufe an der türkischen und kanadischen Bürokratie.
Kurdi hatte auch versucht, finanzielle Bürgen für die Ausreise von Aylans Familie nach Nordamerika zu finden, denn nach dem kanadischen Flüchtlingsrecht müssen mindestens fünf kanadische Staats- bürger garantieren, den Einwanderern im Notfall beistehen zu können. Doch das misslang und so entschloss sich Kurdi am Ende, der Familie Geld zu schicken, um einen Schlepper anzuheuern. Knapp 6000 Dollar soll die Familie für die Fahrt aus der Türkei nach Griechenland gezahlt haben. „Wir konnten sie einfach nicht herausholen aus der Türkei. Deswegen stiegen sie in dieses Boot“, sagte Kurdi unter Tränen der Zeitung „National Post“.
Für Premierminister Stephen Harper kommt der tragische Fall zur Unzeit, denn in sechs Wochen wird in Kanada gewählt und die Details werfen kein gutes Licht auf seine Regierung. Denn Kurdi hatte sich laut kanadischen Medien vor einigen Monaten in ihrer Not in einem Brief an Einwanderungsminister Chris Alexander gewandt und um Hilfe gebeten – bekam aber nie eine direkte Antwort. Ein formeller Asylantrag für den in Deutschland lebenden Onkel Aylans wurde von der Einwanderungsbehörde in Ottawa wegen fehlender Papiere abgewiesen.
Nun ist das weltweite Medienecho über den Fall groß und der Minister sah sich gezwungen, seinen Wahlkampf zu unterbrechen. In einer schriftlichen Mitteilung erklärte Alexander, er sei wie viele Kanadier zutiefst betroffen über das Schicksal der Familie. Den an ihn gerichteten Brief habe er seinerzeit an die zuständigen Bürokraten weitergeleitet. Zuvor hatte Alexander die Medien dafür verantwortlich gemacht, dass der Flüchtlingskrise in Kanada bislang wenig Priorität eingeräumt wurde.
Kritiker dagegen werfen der kanadischen Regierung schon länger Untätigkeit vor. Bisher sind in Kanada laut Einwanderungsbehörde nur 2374 Flüchtlinge aus Syrien. Zwar hatte sich die Regierung bereit erklärt, 10.000 Syrer aufzunehmen. Doch bürokratische Hürden erschweren den Prozess ungemein.
„Wir konnten sie nicht herausholen.“