China will die Marktwirtschaft, aber ihre Regeln nicht akzeptieren
China versucht, die wahren Gründe des Börsencrashs und seine wirtschaftlichen Defizite zu verschleiern. Das wird nicht lange gut gehen.
Die vergangene Woche bot Gelegenheit, das schöne Bild, das sich viele von der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China machen, etwas zurechtzurücken. Am Montag „gestand“ein Journalist im staatlichen Fernsehen, dass er es war, der die Börsen in den Keller gejagt hat. Einer seiner Artikel habe „Panik und Unruhe“an den Märkten verursacht und dem Staat und Investoren großen Schaden zugefügt, sagte Wang Xiaolu und bat vor laufender Kamera um Nachsicht und eine milde Strafe. Mit ihm wurden rund 200 Personen verhaftet, Wertpapierhändler und Mitarbeiter der Börsenaufsicht.
Am Donnerstag zeigte das offizielle China anlässlich der Feiern des 70. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges noch ein weiteres Gesicht. „Wir Chinesen lieben den Frieden“, sagte Staatspräsident Xi Jinping. Doch die Bilder von der Parade eines vor Kraft und modernem Waffenarsenal strotzenden Militärs passten nicht zur programmatischen Rhetorik.
„Panik und Unruhe“, die der Finanzjournalist ausgelöst haben soll, beschreibt auch gut die Gemütslage der chinesischen Staatsführung. Denn der sich nun schon über Monate ziehende Absturz der Aktienbörsen sorgt für Unruhe – in der Bevölkerung, aber vor allem in der Politik. Und die teilweise panischen Reaktionen darauf zeigen, wie schwer sich das offizielle China tut, die kommunistische Diktatur mit der selbst verordneten Hinwendung zur Marktwirtschaft unter einen Hut zu bringen.
Politisch gibt Chinas Führung keinen Zentimeter an Macht auf, aber das Volk will sie bei Laune halten. Daher lässt man es ein wenig die Luft der Freiheit der Märkte schnuppern. Doch die Märkte lassen sich nicht nach Belieben lenken, eine Erkenntnis, die Chinas Behörden teuer zu stehen kam. 400 Mrd. Dollar gaben sie aus, um die Börsen und die chinesische Währung zu stützen, um dann doch kapitulieren und den Renminbi abwerten zu müssen.
Wenn es gilt, Schuldige für das staatlich mitverursachte Desaster zu finden, wird nicht lange gefackelt, dann sitzen Journalisten, Banker und Beamte auch ganz schnell im Gefängnis. Und niemand redet mehr davon, dass die Regierung die Menschen regelrecht gedrängt hat, Aktien zu kaufen. Viele taten es auf Pump und müssen feststellen, dass sich ihr Reichtum in Luft aufgelöst hat und sie noch mit Schulden vom Ausflug an die Börsen zurückkehren.
Der Vorwurf, dass an der Börse mit gezinkten Karten gespielt wird, fällt aber auf Chinas Führung zurück. Experten bezweifeln, dass die vom Staat publizierten Daten stimmen und das Wirtschaftswachstum geringer ist. Noch lässt sich der Staat beim Aufstieg zur ökonomischen Weltmacht ungern in die Karten schauen. Früher oder später wird der Druck der Märkte dafür sorgen, dass er sein Blatt offenlegen muss.