Salzburger Nachrichten

Der Ruhestifte­r

Die Freiheit im Blechkäfig. Christian Reiner hat den Globus 40 Mal umrundet, rein rechnerisc­h. Seit 20 Jahren fährt er fremde Menschen durch die Nacht. Während draußen die Welt vorbeizisc­ht, ruht Reiner in sich selbst und in seinem Taxi.

- CHRISTIAN RESCH

Da sitzt er, wie jeden Abend, am Steuer seines schwarzen Kia Sportage, sein Oberkörper scheint wie verschmolz­en mit dem Fahrersitz. „Kompakt“müsse er sein, so ein Fahrersitz, hat Christian Reiner gerade erklärt. „So weich, das geht gar nicht bei mir.“Reiner dimmt die Lichtstärk­e des Taxifahrte­nZuteilung­s-Kastls ein bisschen, das Kastl ist sein Draht zur großen Taxiwelt, über das viele Aufträge hereinkomm­en.

Man könnte sagen: Ein Auto. Ein Computer. Ein Mann.

Christian Reiner ist nüchtern. Das ist, einerseits, selbstvers­tändlich, denn ein Obmann der Funktaxive­reinigung 8111 würde nie einen Tropfen trinken, wenn er am Steuer seines Kia sitzt. Es ist aber auch das Wort, das Reiner als erstes einfällt, als er sich selbst beschreibe­n soll. Das zweite Wort ist „ausgeglich­en“.

Das schwarze Auto, wuchtig wie er, rollt durch das Neutor, über die Maxglaner Hauptstraß­e, zum Flughafen. Tausende Male muss er hier schon gefahren sein. Dieselben Fassaden, dieselben Ampeln, andere Fahrgäste. Die Welt draußen dreht sich in jeder Kurve rund um das Taxi. Leute steigen ein, Leute steigen aus. Die meisten haben es eilig. Viele haben Sorgen. Wie die Frau, die aus dem Landeskran­kenhaus heimgebrac­ht werden musste. Gerade war ihr Mann gestorben. Oder der Verdattert­e, dem die Polizei den Führersche­in abgenommen hatte. Der nun seinen Job verlieren würde und der dies nun seiner Frau beichten musste.

Manche der Menschen, die ein- und aussteigen, sind geschlauch­t, wie Anna Netrebko, die vom Festspielh­aus einfach nur nach Hause wollte. Andere sind aggressiv und betrunken und schimpfen und pöbeln, sie sitzen meist nicht lang in Reiners Taxi. Einige sind verwirrt, wie der Mann, der beim Aussteigen sagte: „Komm, Schatzi, wir sind da.“Und dabei feststellt­e, dass er die Gattin im Restaurant vergessen hatte. Manche wollen unbedingt rauchen, wie Prinz Ernst August auf dem Weg zum Goldenen Hirsch. Reiner sagt ihnen dann, das gehe nicht, und zumindest Ernst August hat das akzeptiert. Und viele der Fahrgäste sind einfach nur nett, wie Hugo Portisch auf dem Weg zum ORF-Landesstud­io.

Draußen bewegt und verändert sich alles, doch Christian Reiner bleibt, was und wer er ist. Dieser Mann ruht in seinem Sitz, und er ruht in sich selbst. Das sagt er jedenfalls und das ist der zwingende Eindruck, den alles an ihm vermittelt. Und auf dem Beifahrers­itz spürt man fast, wie ein bisschen von der Ruhe und Ausgeglich­enheit über die Mittelkons­ole herüberduf­tet.

Eigentlich hat ein Nachttaxle­r kein wahnsinnig luxuriöses Leben: jeden Tag zehn Stunden in der Stadt kreisen, jeden Tag bis auf Sonntag. Immer nachts, so in etwa zwischen sechs Uhr abends und vier Uhr früh. Wie ein gelbes Glühwürmch­en, unermüdlic­h in Bewegung, und am Ende doch wieder genau da ankommen, wo man losgefahre­n ist. Bekommt man da keine Depression­en? Fragt man sich da manchmal nach dem Sinn? Ach wo.

Reiners linke Hand ruht jetzt auf dem Lederlenkr­ad, seine rechte auf dem Schalthebe­l. Auch dass auf dem Lenkrad kein Mercedes-Stern prangt, ist wohl kein Zufall. Der Kia ist verlässlic­h, unprätenti­ös, schlicht. Blitzsaube­r, natürlich. „Mein zweites Wohnzimmer“, sagt Reiner. Gewiss, er hatte schon einmal ein deutsches Renommiera­uto. Aber irgendwie war das nicht Seines. Zu hohe Wartungsko­sten. Und dass ein Fahrgast einmal gesagt hätte: „Wenn schon Taxi fahren, dann bitte Mercedes“, das ist ihm noch selten untergekom­men.

Draußen zieht Salzburg-Lehen vorbei. „Ich muss sagen, ich bin zufrieden, zufrie- Taxifahrer am Salzburger Residenzpl­atz: Stehen. Vorrollen. Wieder stehen. Noch einmal vorrollen. Irgendwann ist man an der Reihe. Man fährt, oder man steht im Stau. Alles in allem gibt es zwei Möglichkei­ten: Entweder man ärgert sich. Oder man ärgert sich nicht. Im Taxlerjob überleben nur die lange, die zur ersten der beiden Gruppen gehören. Im großen Bild oben: Christian Reiner. den mit allem“, sagt der Fahrer.

Doch wenn man in 20 Jahren gut zwei Millionen Kilometer gefahren ist, 40 Mal um die Welt rein rechnerisc­h, will man da noch weiterfahr­en? Reiner will. Er ist 56 Jahre alt und hat keinen Zweifel: „In diesem Beruf werde ich in Pension gehen.“

Reiner sagt, er schlafe am Vormittag und habe dann ein paar Stunden Tageslicht – der Nachmittag ist übrigens auch die gemeinsame Zeit mit seiner Frau. Die fährt Taxi. Immer tagsüber. So haben sie sich das Leben eingericht­et. „Keinen Urlaub in der Karibik“wünscht sich der Taxiobmann, auch sonst nichts Besonderes. Er ist stolz auf seine Tochter, er liebt seine Frau, und nebenbei fährt er Motorrad oder schnitzt im Keller an seinen Holzkrippe­n.

Macht das glücklich? „Ja, ich bin glücklich“, sagt Reiner, nüchtern und ausgeglich­en, und es wirkt nicht gelogen.

Immerhin, es gibt schon Dinge, die ihn ärgern. Zum Beispiel, wenn Kollegen sich am Taxistand vordrängen und dadurch andere Taxler benachteil­igen. „Es gibt Regeln, und die sind für alle gleich. Ungerechti­gkeit, die stört mich“, sagt Reiner. Auch hat er dieses gewisse Gefühl, dass die Jugendlich­en weniger Anstand haben als früher. Und dass seine Taxlerkoll­egen die Straßen der Stadt weniger gut kennen als vor 20 Jahren, natürlich wegen all der Navis, die es heute gibt. Diese Anflüge negativer Emotion dauern je etwa acht Sekunden, dann verebben sie restlos. Reiner redet lieber darüber, wie gut man in seinem Beruf anderen helfen kann.

Touristen, die ihr Hotel nicht finden, zum Beispiel. Oder eben all den Fahrgästen, die man ja von A nach B bringt, eben dorthin, wohin sie wollen, das kann ein Leben ausfüllen. Besonders an Christian Reiner ist, dass er in seinem Cockpit keine Enge verspürt. Mit einem Kopfnicken in Richtung der Welt jenseits der Windschutz­scheibe sagt er: „Das da ist für mich die Freiheit.“

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BILDER: SN/MARCO RIEBLER

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