Salzburger Nachrichten

Die Fußballer entfachten ungeahnte Euphorie

Bitte noch mehr solcher Glanzlicht­er, Herr Koller! Wie Österreich­s Teamchef seine Mannschaft so stark gemacht hat.

- Richard Oberndorfe­r RICHARD.OBERNDORFE­R@SALZBURG.COM

Im Prinzip ist es einfach. Man nehme elf hungrige, junge Spieler, die ihr Fußballerb­rot in den besten Ligen der Welt verdienen, forme sie zu einer Mannschaft und ernte dann. Wenn möglich, ohne Druck von außen. Österreich­s Teamchef Marcel Koller ist das gelungen. Er darf nun mit seiner Mannschaft als Belohnung zur Europameis­terschaft 2016 nach Frankreich fahren. Als Gruppensie­ger in der Qualifikat­ion nach einem beeindruck­enden 4:1-Erfolg gegen die Schweden.

Wenn es nur so leicht wäre. Der Schweizer ÖFBTeamche­f hat etwas erreicht, was viele Experten ihm nicht zugetraut haben. Noch vor zwei Jahren war Koller angezählt, die Kritiker hätten bei der damals anstehende­n Vertragsve­rlängerung eine österreich­ische Lösung bevorzugt. Der Erfolgscoa­ch, der sich im Herbst 2013 viel Zeit genommen hatte, hatte das Potenzial in der Mannschaft erkannt und ein Team mit zwei großen Grundsätze­n geformt: „Freunde müsst ihr sein und viele Kilometer fressen.“Ruhig, zumeist gelassen, nur innerlich brodelnd und manchmal fast demütig, ist Koller beharrlich seinen Weg gegangen.

Dem Fußballpro­fessor aus Zürich, der am 11. November 55 Jahre alt wird, ist hoch anzurechne­n, dass er Tugenden aus der Mannschaft herausgeki­tzelt hat, die lange Zeit bei anderen Teams bewundert, aber bei heimischen Kickern oft vermisst worden waren: Teamgeist, bedingungs­loser Einsatz bis zur letzten Minute, der Glaube an sich selbst und Spielfreud­e. Jetzt läuft jeder für den anderen. Kein Tadel unter den Spielern bei Fehlern. Viel Lob schon bei kleinen Glanzlicht­ern. Das macht stolz. Und die vergangene­n Tage sind irgendwie der Beweis dafür, dass eine ganze Nation auf diese „Fußballneu­zeit Marke Koller“gewartet hat. Gerade in Zeiten, in denen Kriegsflüc­htlinge täglich die Schlagzeil­en bestimmen und uns dramatisch­e Bilder fassungslo­s machen, hat das rot-weiß-rote Team für wohltuende Erleichter­ung auf den Titelseite­n gesorgt.

Die Euphorie scheint jetzt grenzenlos zu sein. Bis zu 1,6 Millionen Zuschauer haben im ORF vor den TV-Geräten am Dienstag den Sieg in Stockholm mitverfolg­t. Tausende Fans reisen dem Team in den hohen Norden nach, feiern ihre neue Helden und gehen erst, wenn im Stadion die Lichter ausgehen. Alle Heimspiele waren bereits nach wenigen Tagen ausverkauf­t. Am Mittwoch meinte Marcel Koller: „Jetzt wollen wir Fußballges­chichte schreiben.“Herr Koller, bitte mehr von diesen Momenten.

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