Abschiebungen nach Ungarn werden gestoppt
Über 300 Asylbewerber wurden heuer nach Ungarn abgeschoben, weil Österreich nicht zuständig ist. In Zukunft könnte sich das drastisch ändern.
Flüchtlinge, die von Österreich nach Ungarn abgeschoben werden sollen, könnten zukünftig im Land bleiben. Denn immer mehr Gerichtsurteile setzen Abschiebungen in das östliche Nachbarland aus. Der Grund ist laut zuständigen Richtern vor allem die menschenrechtliche Situation und die Flüchtlingsversorgung in Ungarn. Auch ein Höchstgericht entscheidet bald über einen Abschiebestopp.
WIEN. Blaue Flecken, Augenverletzungen von Blendgranaten und Pfefferspray. Hilfsorganisationen und Rotes Kreuz berichten immer öfter von angeblicher Gewalt an Flüchtlingen seitens der ungarischen Behörden. Nicht nur deshalb stoppen Richter immer mehr Abschiebungen von Flüchtlingen aus Österreich Richtung Ungarn.
Im Normalfall ist jenes Land für das Asylverfahren zuständig, in dem ein Asylbewerber die EU betreten hat. Das besagt die sogenannte Dublin-Verordnung. Sucht jemand in Österreich um Asyl an, wird zuerst geprüft, ob er nicht etwa über Ungarn nach Österreich gekommen ist. Wenn ja, wird er dorthin abgeschoben. In Zukunft könnte sich das ändern.
Denn das Bundesverwaltungsgericht, die zweite Instanz in den Asylverfahren, stoppt in den vergangenen Tagen immer mehr solcher Abschiebungen. Ein Fall, der den SN vorliegt, zeigt warum:
Es geht um einen Afghanen, der nach Ungarn hätte abgeschoben werden sollen. Denn das in erster Instanz zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hatte festgesellt, dass das Asylverfahren des Afghanen in Ungarn stattfinden müsse.
Der Asylbewerber legte dagegen Berufung ein. Denn er sei von der ungarischen Polizei geschlagen worden und hätte keine ausreichende Versorgung erhalten. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stoppt nun seine Abschiebung aus zwei Gründen:
Für das Gericht ist laut Urteil entscheidend, dass die erste Instanz, sprich das BFA, nicht überprüft habe, ob tatsächlich solche Misshandlungen stattgefunden haben.
Der weit schwerwiegendere Grund für den Abschiebungsstopp ist aber eine Gesetzesänderung in Ungarn. Denn für das östliche Nachbarland gilt seit Anfang August Serbien als sicherer Drittstaat. Asylbewerber dürfen deshalb von Ungarn nach Serbien abgeschoben werden.
In Österreich sieht das anders aus. Serbien gilt hierzulande nicht als sicherer Drittstaat. Asylbewerber dürfen also aus der Alpenrepublik nicht in das Balkanland rückgeführt werden. Das Bundesverwaltungsgericht fürchtet aber, dass nach Ungarn abgeschobene Flüchtlinge weiter nach Serbien geschickt werden. Deshalb müsse das BFA überprüfen, ob Asylbewerber, die aus Österreich nach Ungarn gebracht werden, ein faires Asylverfahren in Ungarn erhalten. Bis dahin sind mehrere Abschiebungen gestoppt.
Im Innenministerium kennt man die jüngsten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts. „Die Behörde wird sich die Einzelfälle noch einmal genau ansehen“, erklärt der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck.
„Es gibt keinen generellen Stopp von Rückführungen nach Ungarn“, erklärt eine Sprecherin des Bundesverwaltungsgerichts. Dazu bräuchte es das Urteil eines Höchstgerichtes. Hört man sich bei Höchstrichtern und Rechtsexperten um, so liegt eine Trendumkehr bei österreichischen Asylverfahren in der Luft. Derzeit prüfe der Verwaltungsgerichtshof sehr kritisch den Fall einer afghanischen Familie, die von den ungarischen Behörden nicht ausreichend versorgt worden sein soll, heißt es aus dem Höchstgericht. Die Entscheidung werde für die nächsten Tage erwartet. Andere Gerichte könnten sich in der Folge an dem Urteil orientieren. Es wäre ein erster Schritt zu einem generellen Abschiebeverbot Richtung Ungarn. Das hätte massive Auswirkungen auf das österreichische Asylwesen. Heuer gab es laut Innenministerium 355 Abschiebungen nach Ungarn.