Der Steuermann, der nie Kapitän wurde
Hannes Androsch, der beste Kanzler, den Österreich nie hatte, legt seine Erinnerungen vor.
Eine Abendgesellschaft in Wien, Herbst 1971: „Allen Anwesenden war an diesem Abend klar: Bruno Kreisky war der unbestrittene Kapitän des österreichischen Staatsschiffs, Hannes Androsch sein auserwählter Steuermann.“
Das schreibt – nein, nicht Hannes Androsch, obgleich die Textpassage seinen eben erschienenen Lebenserinnerungen („Niemals aufgeben“) entnommen ist. Autor der Zeilen ist Peter Weiser, jahrelang Leiter der Österreichischen Energieagentur, trotz seines ÖVP-Hintergrunds erklärter Androsch-Fan und seit den Siebzigerjahren intimer Beobachter der Politik. Androsch hat einige Tagebuchnotizen seines mittlerweile verstorbenen Freundes in sein Buch aufgenommen. Mit gutem Grund, denn Weiser seziert kenntnisreich und detailgetreu das nur tiefenpsychologisch zu beschreibende Zerwürfnis zwischen Kreisky und seinem logischen Thronfolger Androsch.
Die Entfremdung dieser beiden prägenden Gestalten der Sozialdemokratie spaltete die SPÖ über Jahrzehnte, sie schadete dem ganzen Land und verhinderte den programmierten Aufstieg Androschs an die Regierungsspitze. Der Konflikt zwischen Kreisky und Androsch ist Sinnbild für vieles, unter anderem für die Tatsache, wie sehr der persönliche Moment die Politik prägen kann. Der damalige Bundeskanzler und sein Finanzminister hatten durchaus sachliche Auseinandersetzungen, etwa über die Hartwährungspolitik, die Androsch befürwortete, Kreisky hingegen ablehnte. Der Vernichtungszug des Alten gegen den Jungen hatte aber ganz andere Gründe: Eifersucht auf dessen Weltläufigkeit und Lebensstil. Angst, von dem Jüngeren ausgebootet zu werden. Und schließlich mag im Verhältnis der beiden Herren zueinander ein verquerer Vater-SohnKonflikt mitgespielt haben, der sich an den absurdesten Kleinigkeiten entzündete, etwa einem angeblichen Fauxpas Androschs bei der Eröffnung des Arlberg-Tunnels 1978.
Im Übrigen sind die Lebenserinnerungen Androschs ein persönlich gehaltenes Buch der jüngeren Zeitgeschichte, eine selbstbewusste Bilanz des eigenen Wirkens als Politiker, Bankdirektor, Industrieller und – diese Rolle nimmt der beste Bundeskanzler, den Österreich nie hatte, heute ein – als „Citoyen“, als tatkräftiger und aktiver Bürger.