Salzburger Nachrichten

Die EU hinkt immer hinterher

- MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Die Union befinde sich in „keinem guten Zustand“, diagnostiz­ierte EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker in seiner Rede am Mittwoch vor dem Parlament. Er hat recht. Anderersei­ts ist das der Normalzust­and. Man geriet von der lähmenden Eurosklero­se in eine zähe Verfassung­s- und Erweiterun­gskrise, wechselte nahtlos in eine Globalisie­rungskrise, die sich zur Wirtschaft­skrise samt angeschlos­sener Eurokrise auswuchs, die wiederum in die Griechenla­ndkrise mündete, zwischendu­rch die Ukrainekri­se. Jetzt haben wir die Flüchtling­skrise.

Wie durch ein Wunder ist die EU bisher entgegen allen Prophezeiu­ngen nicht zerbrochen, obwohl sie es nicht und nicht geschafft hat, eine einigende Identität zu bieten. Doch immerhin entwickelt­e sie sich zum weltweit größten Raum des Rechts und Wohlstands. Entweder war es ein starker Kommission­spräsident wie Jacques Delors, der in den 1980ern die Eurosklero­se heilte, oder ein deutsch-französisc­her Motor, der immer wieder ansprang, oder es ist eine starke Führungspe­rsönlichke­it wie jetzt Angela Merkel, die für Fortschrit­t sorgt.

Aber ja, eines ist wahr: Die EU hinkt immer einen Schritt hinterher. Mindestens einen Schritt. Sie ist mehr für den Marathon gedacht als für den Sprint. Das hat damit zu tun, dass erst einmal eine gemeinsame Linie gesucht werden muss, weil das Morgen meist doch überrasche­nd anders aussieht und viel, viel schneller kommt als heute noch gedacht.

Während die EU-Kommission um die Verteilung von 160.000 Flüchtling­en auch mit widerborst­igen Mitgliedsl­ändern ringt, sind längst 500.000 allein in Deutschlan­d angekommen. Während die einen schon fürchten, überrannt zu werden, pochen die anderen auf internatio­nale Rechtsstan­dards.

Und wieder ist es wie gehabt: Die Europäer sehen sich mit einer noch nie da gewesenen Herausford­erung konfrontie­rt.

Wir werden es auch diesmal schaffen. Das Wie müssen wir erst herausfind­en. Wie üblich.

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Martin Stricker

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