Was ist los in „Dunkeleuropa“?
Die Staaten im Osten Europas wollen keine Flüchtlinge aufnehmen.
WARSCHAU. Deutschlands Präsident Joachim Gauck hat den umstrittenen Begriff „Dunkeldeutschland“geprägt. Er zielte damit auf die „Flüchtlingsgegner“in Sachsen. Nun macht in Berlin das Wort von „Dunkeleuropa“die Runde. Gemeint sind jene jungen EU-Staaten im Osten des Kontinents, die sich vehement gegen Brüsseler Flüchtlingsquoten und letztlich gegen eine Aufnahme von Asylbewerbern sperren, allen voran Ungarn, das einen NATO-Drahtzaun errichtet hat, aber auch Polen, die baltischen Staaten, Tschechien und die Slowakei. Deren Premier Robert Fico sagt: „Ich will nicht eines Morgens in einem Land aufwachen, in dem hunderttausend Araber leben.“
Lässt sich dieses „Dunkeleuropa“verstehen? Angst dürfte der Schlüsselbegriff zur Erklärung jenes „kulturellen Schocks“sein, den die Flüchtlingswelle der vergangenen Monate im Osten Europas ausgelöst hat: Angst vor Gewalt, aber auch vor Überfremdung, vor dem Verlust der eigenen kulturellen und nationalen Identität. So jedenfalls sieht es der Warschauer Soziologe Aleksander Smolar. „Die ethnische, kulturelle und religiöse Homogenität des Landes hat Polen die Transformation nach 1989 unerhört erleichtert“, sagt er. „Wir waren damals bereit, einen hohen Preis für Veränderungen zu bezahlen, weil es um uns ging, um uns Polen.“
Das Stichwort „Homogenität“verweist auf einen weiteren Erklärungsansatz: Was Menschen fremd ist, versetzt sie in Alarmbereitschaft. „Womit habe ich es zu tun?“, lautet die von Vorsicht und Angst geprägte Frage. Das gilt auch für den Kontakt mit Migranten, die in den „homogenen“Staaten Osteuropas bislang die große Ausnahme sind. In Polen lag der Ausländeranteil 2014 bei 0,3 Prozent, in der Slowakei bei 1,1, in Ungarn bei 1,4, in Tschechien immerhin bei vier, in Deutschland aber bei neun und in Österreich bei 12,4 Prozent. Und noch etwas kommt hinzu: Alle Länder Ostmitteleuropas mussten nach 1989 mit ansehen, wie vor ihrer Haustür, im ehemaligen Jugoslawien, nationale, ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte in einen blutigen Bürgerkrieg mündeten. Konflikte und Krieg gab es auch in der zerfallenden Sowjetunion, in Armenien und Aserbaidschan, in Georgien und nicht zuletzt in Polens Nachbarland Ukraine.
Das Beispiel Ukraine zeigt, dass es den Menschen in Polen und anderen Staaten Osteuropas keineswegs an Hilfsbereitschaft mangelt. Als 2014 die Lage in Kiew eskalierte, zeigten sich die Polen zu fast jeder Form der Unterstützung bereit, während viele Deutsche mit den Schultern zuckten und fragten: „Was geht uns die Ukraine an?“Der in Warschau seit Langem erwartete Flüchtlingsstrom aus dem Nachbarland ist bislang zwar ausgeblieben. Aber eines gibt Polens Vizepremier Tomasz Siemoniak dennoch zu bedenken: „Die Deutschen sollten nicht glauben, uns Solidarität lehren zu müssen.“