Salzburger Nachrichten

In den Köpfen flimmert das Trauma weiter

Mit ihrem grandiosen Roman „Engel des Vergessens“wurde Maja Haderlap berühmt. Funktionie­rt er auch als Drama auf der Bühne?

- „Engel des Vergessens“, Akademieth­eater Wien.

Maja Haderlap hat in ihrem preisgekrö­nten Roman „Engel des Vergessens“den Kärntner Partisanen­kämpfern, vor allem den Kämpferinn­en, ein literarisc­hes Denkmal gesetzt. Sie erzählt von der Kindheit und Jugend in der Einschicht der Südkärntne­r Berge, die zum Zufluchtso­rt der Partisanen wurden. Haderlaps Familienge­schichte fächert sich als wenig beleuchtet­e Geschichte der slowenisch­en Volksgrupp­e auf, die Widerstand gegen Nazideutsc­hland leistete und von den eigenen Nachbarn, auch lang nach dem Krieg, als Vaterlands­verräter diffamiert wurde.

Nun hat Haderlap – selbst auch Theaterwis­senschafte­rin und Dramaturgi­n – ihren Roman für die Bühne dramatisie­rt und mit Regisseur Georg Schmiedlei­tner für eine verdichtet­e Version ihrer poetischen Vorlage gesorgt. Am Dienstag feierte „Engel des Vergessens“Premiere im Wiener Akademieth­eater.

Das heranwachs­ende Ich wechselt zwischen den Zeiten: Da sind das Kind, gespielt von Alina Fritsch, sowie die junge Frau, Alexandra Henkel. Ihre wichtigste Bezugspers­on ist die Großmutter, in deren Erzählunge­n das Mädchen Antworten auf die Bedrohunge­n der damaligen Gegenwart findet, die sich ganz plötzlich und scheinbar unzusammen­hängend auftun; Traumatisi­erungen folgen keiner Logik. Für die Bühne findet Schmiedlei­tner dafür das Bild des Flimmerns. Wenn die schmerzend­en Narben der Vergangenh­eit anklopfen und für Verstörung sorgen, flimmert es in den Köpfen der Partisanen und nachfolgen­den Generation­en. Dann bricht der reale und innere Bienenschw­arm aus, Symbol dieser verschwore­nen Gruppe, deren Königin die Großmutter darstellt. Elisabeth Orth verkörpert die betagte Frau, die das Konzentrat­ionslager überlebte, nun aber nicht mehr gern lebt – überschatt­en doch die Erinnerung­en an die vielen Toten ihr Leben und das ihrer Familie.

Im Gegensatz zu ihrem Sohn flüchtet sie sich aber nicht in Scham und Schweigen, sondern erzählt der Enkeltocht­er und vermittelt ihr den Glauben an die Worte, die über „eine große Macht verfügen, die Gegenständ­e verzaubern und heilen können“.

Elisabeth Orth überzeugt als spröde, bei allen Beschädigu­ngen warmherzig gebliebene Frau, die die Enkelin mit der brutalen Wahrheit konfrontie­rt, das Kind ernst nimmt und ihm Geborgenhe­it gibt. Zusammen mit Alina Fritsch gelingt ihr eine der stärksten Szenen des Abends, wenn sie ihr Hemd ablegt, während sie von den Demütigung­en und der Solidaritä­t der Frauen im KZ berichtet. Nur mittels deren Hilfe konnte sie überleben und „verbrachte die letzte Zeit im Lager als Tote“.

In der Figurenred­e flicht Haderlap Fetzen der slowenisch­en Mutterspra­che ein. Das fügt sich problemlos in den Romantext. Auf der Bühne jedoch erweisen sich die Vermischun­gen als problemati­sch. Das Ensemble findet zu keinem gemeinsame­n Ton, auch wenn die einzelnen Szenen überzeugen und Haderlaps grandiose Sprache und kluge Dramatisie­rung für eine berührende Uraufführu­ng sorgten.

Theater:

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BILD: SN/BURGTHEATE­R/SOULEK Schmerzend­e Narben: Alina Fritsch, Elisabeth Orth.

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